„Ein unzufriedener Mensch findet keinen bequemen Stuhl“

Die Miniaturstuhl-Sammlung von Dirk Dowald

von Johannes Vesper

Alu Chair EA 108 (Charles & Ray Eames) im Maßstab 1:6 auf seinem großen Vorbild - Foto © Benedict Georgi

„Ein unzufriedener Mensch findet keinen bequemen Stuhl“
(Benjamin Franklin)
aber
der Sammler Dirk Dowald Miniaturstühle
 
Ein Porträt
von Johannes Vesper
 
Vor wenigen Wochen rief er an: „Bei mir stehen 100 Miniaturstühle von Vitra. Ende der Woche muß ich sie wieder einpacken“.
Also nix wie hin. Tatsächlich bevölkerten 100 Miniaturstühle in Reih und Glied den Boden seines „Stuhlzimmers“ darunter Stühle von Colani, Thonet, Breuer („Wassily“) Corbusier und vielen anderen. In der Ausstellung „Designmaßstäbe – 100 klassische Sitzmöbel“ zeigte das Vitra Design Museum seit 1997 100 originalgetreue, miniaturisierte Nachbildungen bekannter Designer- Sitzmöbel im

Foto: Johannes Vesper
Maßstab 1:6, die in Verarbeitung, Details und den Werkstoffen völlig den Originalstühlen entsprechen. Über 20 Jahre wurden die Miniaturen der Wanderausstellung in den großen Museen der Welt gezeigt, bis sie schließlich vor etwa 5 Jahren in den „Ruhestand“ gingen und eingelagert wurden. „Es gab jetzt die Gelegenheit, diese Ausstellung als Ganzes zu erwerben. Da mußte ich einfach zu schlagen“. Aber bald werden die kleinen Stühlchen wieder in ihre Kartons verpackt und jeweils nur zu Gelegenheiten für Interessierte wieder ausgepackt.
 
Wie kommt man dazu, Miniaturstühle zu sammeln und nicht nur zu sammeln, auch nachzubauen. Inzwischen hat Dirk Dowald auch etliche Originalstühle selbst miniaturisiert. „Chairs“ von Isaac Cole, - der Entwurf dieses Sperrholzstuhles stammt von 1874 - hat er so erfolgreich nachgebaut, daß er es in die Ausstellung und den Katalog (erschienen im Hirmer-Verlag) „Schichten – Möbeldesign vom Klassizismus bis zur Moderne“ des Röntgenmuseums Neuwied geschafft hat. Dirk Dowald war sein ganzes Berufsleben lang als Büroausstatter mit Designstühlen beschäftigt. Eher zufällig traf er erst spät auf die Miniaturstühle, die ihn sogleich faszinierten. Seit knapp 20 Jahren sammelt er nun und baut nach. Bald wurde aus Faszination Leidenschaft. Er betreibt seinen eigenen Blog https://miniaturstuhl.de/ und siehe da: der Blog wird frequentiert. Dort findet man alles über Miniaturstühle und Stuhldesigner von Aalto bis Zwicky. Inzwischen haben sich Sammler-Freundschaften gefunden. Mit einigen Sammlerfreunden aus ganz Deutschland steht er in Kontakt. Man tauscht sich aus, fachsimpelt über Konstruktionen, über den Nachbau von benötigten Einzelteilen. Sammlerfreund Halil Hinz aus Engelskirchen baut einfach perfekt nach. Wenn quadratische Minimuttern benötigt werden, fräst er sie maßstabgerecht nach. Da sind Neu-Bauhäusler am Werk, die sich gerne zusammen mit Walter Gropius, Marcel Breuer und Wassily Kandinski fotografieren lassen, was problemlos möglich war im wunderbaren Kragstuhlmuseum der Fa. Tecta zu Lauenförde, wo die Originale, ausgeschnitten aus einem Foto von 1926, lebensgroß stehen.
 

Neue Bauhäusler Von links: Benedikt Georgi (Paderborn), Gropius,Breuer, Kandinsky, Dirk Dowald (Schwelm),
Halil Hinz (Engelskirchen). Foto Daniela Drescher (Tecta Kragstuhlmuseum), Bildbearbeitung Klaus Herda

Im Schwelmer Haus Martfeld waren im Sommer 2022 in der Ausstellung „200 Jahre Design Ikonen“ zahlreiche Miniaturstühle aus der Sammlung von Dirk Dowald zusehen. Dabei ist die Geschichte des vierbeinigen Sitzmöbels deutlich älter. Vor ca. 5.000 Jahren ließen sich Könige, Herrscher, hochgestellte Persönlichkeiten auf einem Thron nieder, um sich von ihren Untertanen abzugrenzen. Diese konnten sich bis zu den ersten Stuhlproduktionen in Manufakturen durch Schinkel und Thonet in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts fast ausschließlich nur auf handwerklich gefertigte Einzelstücke, meist dreibeinige Hocker setzen.

Gasrohrsessel im Garten (Foto Dirk Dowald)
Der Schinkelstuhl in seinen filigranen, klassizistischen Formen als einer der ersten seriell gefertigten Stühle bestand aus zwei gleichen, gußeisernen Seitenteilen, einem ebenfalls gegossenen Schulterbrett mit Rankenverzierung und geschmiedeten Rundstäben für die Sitzfläche. Seit 1830 experimentierte der Bau- und Möbeltischler Michael Thonet in Boppard mit Bugholz, versuchte Möbelteile aus dünnen Holzleisten und gebündelten Holzstäben zu verformen. Seine eleganten, leichten Stühle wurden schnell überregional bekannt, sodaß er auf Drängen des Fürsten Metternich 1849 in Wien sein Unternehmen für die Produktion von Stühlen gründete. International bekannt wurde er mit seinem Stuhl Nr. 14 (Entwurf von 1859). Dieser Stuhl konnte dank neuer Technik industriell hergestellt werden und ging als typischer Wiener Kaffeehausstuhl in die Designgeschichte ein. Bis 1930 wurden vom „14er“ mehr als 50 Millionen hergestellt. Seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts werden Stühle aus Schichtholz produziert, einem Material, welches schon bei den alten Ägyptern bei der Aufbewahrung der Mumien benutzt wurde.
Um 1926 entwarf Mart Stam aus Gasrohren einen ersten hinterbeinlosen Kragstuhl aus Gasrohren, einen Vorläufer des Freischwingers, der allerdings bei zu geringem Durchmesser der Rohre zunächst brach und so nicht zu gebrauchen war. Im Garten von Dirk Dowald erfreut ein solcher als Plastik die Besucher.

Erst Ludwig Mies van der Rohes Weißenhofstuhl und Marcel Breuers Stahlrohrstühle wurden zu echten, brauchbaren Freischwingern. 1925 hatte Marcel Breuer begonnen, mit nahtlos gezogenem Präzisionsstahl zu experimentieren und damit seinen Sessel „Wassily“ hergestellt, der infolge seiner transparenten Konstruktion in die Designgeschichte einging. Die ebenfalls von Marcel Breuer 1929/30 entworfenen Kragstühle S32 und S64 wurden von Thonet produziert und auf der Ausstellung des Deutschen Werkbundes 1930 in Paris vorgestellt. Inzwischen interessierten sich weitere berühmte Künstler für die Entwürfe von Stühlen, darunter Le Corbusier und Ludwig Mies van der Rohe, der seinen bis heute aktuellen Barcelona Sessel für die Weltausstellung dort 1929 entworfen hatte. Er war davon überzeugt, daß „es schwerer ist, einen guten Stuhl zu bauen als einen Wolkenkratzer“. Der berühmte Sessel LC2 wurde lange Le Corbusier zu geschrieben, stammt aber von seiner Mitarbeiterin Charlotte Perriand. Die Produktion der Thonetstühle war später nach Frankenberg an der Eder verlegt worden, wo sich seit 1945 Stammsitz des

Eckstuhl von Stefan Wewerka - Foto Johannes Vesper
Unternehmens befindet.
Seit ca. 40 Jahren interessiert sich Dirk Dowald für Designgeschichte, insbesondere die von Stühlen, und sammelt seit 1996 Miniaturstühle. Bis heute trug er um die 450 solcher Miniaturobjekte (Maßstab 1:6) zusammen. In seiner Sammlung finden sich Entwürfe von Alvar Aalto, Charles & Ray Eames, Arne Jacobsen, Gerrit Rietveld, Eero Saarinen u.a.. Sie vermitteln eine Geschichte des Stuhldesigns, welches sich vom Stahlrohr aus weiter entwickelte zum Aluminium-Chair von Charles & Ray Eames (Entwurf 1958), den heute immer noch nicht nur Vorstände aller möglichen Couleur „besitzen“, um sich abzugrenzen (s.o.).
 
Der Entwurf die S-förmigen Panton-Chairs (1. Entwurf 1955 aus Schichtholz von Verner Panton) war zunächst schwer zu realisieren. Die Produktion dieses Stuhls aus Polystyrol, fiberglasverstärktem Polyester, Polyurethan oder Luran S erwies sich aber lange entweder als zu teuer oder zu instabil. Erst 1999 konnte die Fa. Vitra endlich diesen legendären Freischwinger kostengünstiger und stabil aus Polypropylen herstellen. Von 1972 an schuf Henry Massonet den aus Polypropylen (Materialkosten wenige Euro/Stuhl) in Spritzgusßtechnik erstellten Monobloc-Stuhl, der in 2 Minuten hergestellt als recycelbare Stapelware wahrscheinlich zum meist verkauften Möbelstück aller Zeiten wurde (mehr als eine Milliarde). Nach Erfindung des 3D Druckers (Chuck Hull 1983) druckte Patrick Jouin 2004 seinen Solid C1 Stuhl aus Epoxidharz, dessen komplexe Struktur nur mit Hilfe der schichtweisen Stereolithographie entsteht. Mit dem XChair von Hermann August Weizenegger aus dem Jahre 2020 wird dann auch Nachhaltigkeit konsequent umgesetzt. Aus vollständig recyceltem Plastik wird er im Rotationsgußverfahren, analog den Osterhasen und Nikoläusen, die allerdings aus Schokolade, hergestellt. Ausgediente Stühle werden nach Jahren zu Granulat geschreddert und dem

Barhocker von Philippe Starck - Foto Johannes Vesper
Produktionskreislauf wieder zugeführt.
Dem Ideenreichtum der Designer sind kaum Grenzen gesetzt. Der Eckstuhl mit drei Beinen von Stefan Wewerka (1978) ist in der Ausführung als Ministuhl (Foto) wohl nicht richtig zu gebrauchen, aber überraschend schön. Dirk Dowald hat ihn für seine Sammlung nachgebaut und sich schwarz geärgert, daß er den rückseitig ausgeschnittenen Einbeinstuhl nicht als Kunstwerk erkannt hat sondern achtlos weggeworfen hat. Wewerkas „Vertreterstuhl“ mit schräger Sitzfläche, einseitig elegant gebogenen Stuhlbeinen und „schräger“ Rückenlehne ist in seiner Nutzlosigkeit eher sinnfreier Kunst als ernsthaftem Stuhldesign zuzuordnen. Das gilt auch für den skulpturalen Barhocker von Philippe Starck. Trotz des ob dieser Stücke zufriedenen Sammlers sind dies Stühle nicht bequem.  
 
Die Schwelmer Ausstellung von Teilen der Sammlung bedeutet für Dirk Dowald einen Höhepunkt seiner Sammlertätigkeit, auch deswegen weil sie ergänzt wurde durch Fotografien Marko Dowalds (www.dowald.art), der Miniaturstühle unter künstlerischen Gesichtspunkten fotografiert, um ihrer Wirkung im Raum nach Größe und Kontur oder nach dem Herstellungsmaterial nachspürt.