Freundschaft (2)

Mariani Klavierquartett - „Brahms & Gernsheim Piano Quartets Vol. 2“

von Johannes Vesper

Freundschaft (2)
 
Mariani Klavierquartett –
„Brahms & Gernsheim – Piano Quartets Vol II“
 
Musikerfreundschaften sich nicht selbstverständlich. Brahms und Wagner galten als Erzfeinde, hielt Johannes Brahms doch die Musik Wagners für „Verirrungen“. Johannes Brahms (1833-1897) und Friedrich Gernsheim (1839-1916) aber waren musikalische Freunde. Friedrich Gernsheim stammt aus Worms. Er hatte sich als Dirigent in Köln und später in Rotterdam immer für die Brahmssche Musik eingesetzt und die Verbreitung des Deutschen Requiems nach Kräften gefördert. Als Kompositionslehrer in Köln und ab 1890 in Berlin (Nachfolger von Max Bruch daselbst) war er hochgeschätzt vor allem auch wegen seiner Kammermusik, obwohl es jüdische Komponisten in Deutschland spätestens seit Richard Wagners Pamphlet über das Judentum in der Musik schwer hatten. Aber er wurde anläßlich seines 75. Geburtstags in Dortmund mit einem zweitägigen Musikfest gefeiert. Erst wegen deutscher Nazi-Barbarei verschwand er später jedoch weitgehend im Orkus der Geschichte und leider auch aus den Konzertprogrammen.
 
Das Mariani Klavierquartett (Philipp Bohnen, Barbara Buntrock, Peter-Philipp Staemmler, Gerhard Vielhaber) hat jetzt zu der Musikerfreundschaft zwischen J. Brahms und F. Gernsheim seine zweite CD herausgebracht. Auch dieser Aufnahme ist anzumerken, daß die inzwischen seit 13 Jahren miteinander musizierenden Instrumentalisten davon überzeugt sind, „mindestens 200 Jahre zusammen musizieren zu wollen“. Man hört aufeinander, atmet zusammen, folgt oder führt, wie es in der Partitur vorgesehen ist, und auch die erste Geige bettet sich, auch wenn sie das Thema vorträgt, gerne auf bzw. in den Klang der tieferen Streicher. Gemeinsam wird die Romantik beschworen, bei Brahms in sinfonisch-rhythmischer Dichte, bei Gernsheim eleganter, schlanker. Und das Klavier? Auch das Klavierspielt hier kein kammermusikalisches Klavierkonzert, obwohl ihm beide Komponisten als Pianisten außerordentlich zugetan waren. Es fügt sich als primus inter apres immer sensibel in das Ensemble ein.
 
Das Klavierquartett in F-Dur op.47 von Friedrich Gernsheim bietet in „trefflicher Mache“ schon im Allegro tranquillo des 1. Satzes mit reicher eleganter Melodik und wunderbaren Soli pures Hörvergnügen harmonischer Hochromantik zwischen Mendelssohn und Brahms. Temperamentvoll, virtuos, fast gespensterhaft brausen die geschwinden Episoden des Scherzos (Allegro energico e appassionato, 2. Satz) vorüber. Liedhaft sanft beginnt das tiefgründige Andante cantabile des 3. Satzes, verdichtet sich dann aber fast sinfonisch vor dem ruhigen, ausatmenden Ende. Musikantisch auch kontrapunktisch durchkomponiert endet das Werk mit einem Variationssatz über ein ziemlich einfaches, bald synkopisch verfremdetes, Fanfarenthema. In Allegro, Grave, Andantino und zuletzt Allegretto scherzando werden 12 Variationen präsentiert, die zuletzt in einem schnellen Kehraus enden. Die Aufnahme weckt die Neugier und zeigt, daß dieses Oeuvre es verdient, auf unseren Konzertpodien wieder belebt zu werden.
 
Johannes Brahms hat im Alter von 22 Jahren mit der Komposition seiner Kammermusiken und sie mehrfach umgearbeitet, was dem Autographen, welches sich im Brahms-Institut der Musikhochschule Lübeck befindet, anzusehen ist. Op. 26 ist mit knapp 50 Minuten Spieldauer das längste Kammermusikwerk des Komponisten. Der schwankende Rhythmus (Wechsel zwischen Achteltriolen und Achteln) charakterisiert den ganzen 1. Satz. Auch im Poco Adagio verschieben sich die Taktzeiten durch Überbindungen. sorgen für Unsicherheit. Düstere Klavierarpeggien und Kantilenen über und im Wechsel mit dem einfachen, den Satz beherrschenden Vierer-Motiv einer ansteigenden und gleich wieder abfallenden Sekunde leiten in tiefe musikalische Tiefen.
Das Scherzo des 3. Satzes besteht aus einer Sammlung von Themen, die von Bach. Schubert und Schumann stammen. Im letzten Satz wird es dann ungarisch, wohin sich Johannes Brahms musikalisch ja gerne orientiert hat (Ungarische Tänze!).
 
Der grandiose Wohlklang der Aufnahme beruht natürlich auf der Musikalität der Musiker und ihren Instrumenten. Aber sie haben auch mit der Toningenieurin Marie-Josefin Melchior (SWR) getüftelt bis das richtige Mikrofon für den umwerfenden Klang gefunden war.
Das Booklet in Deutsch, Englisch und Französisch enthält ein Gespräch des Quartetts mit Johannes Pramsohler über „die wundersame Welt intensiv gelebter Kammermusik“ sowie Kurzbiographien der Musiker. Die Aufnahme wird Musikfreunde begeistern und der Rezensent wartet ungeduldig auf Vol. 3 des Freundschaftsprojektes (zu Vol. 1 siehe → hier).
 
Mariani Klavierquartett - „Brahms & Gernsheim Piano Quartets Vol. 2“
Philipp Bohnen (vl), Barbara Buntrock (vla) - Philipp Staemmler (cello) - Gerhard Vielhaber (p)
© 2021 Audax DDD. Erscheinungsdatum 14.10.2022 (CD)
 
Stücke:
Johannes Brahms: Piano Quartet in A Major Op. 26: 1 Allegro non troppo, 2. Poco Adagio, 3. Scherzo. Poco Allegro, 4. Finale. Allegro
Friedrich Gernsheim: Piano Quartet in F Major, Op. 47: 5. Allegro tranquillo, 6. Allegro energico e appassionato, 7. Andante cantabile 8. Tema con variazioni
Gesamtzeit: 1:19:23
 
Weitere Informationen: www.audax-records.fr