Facetten der Romantik

Das Sinfonieorchesters Wuppertal unter Dmitri Jurowski

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

Facetten der Romantik unter erschwerten Bedingungen
 
Zweites Abonnementskonzert der 160. Saison
des Sinfonieorchesters Wuppertal unter Dmitri Jurowski
 
Programm:
Krzystof Meyer: Hommage á Johannes Brahms (op. 59)
Johannes Brahms Variationen über ein Thema von Haydns (op. 56 a) und
Franz Schubert „Große C-Dur Sinfonie (D 944)
 
Vor dem Konzert gestern, am 16.10.2022  begrüßte der Orchesterdirektor das Publikum im gut besuchten Großen Saal der Historischen Stadthalle und berichtete, daß etliche Musiker dank Corona-Erkrankungen kurzfristig einspringen mußten. Die Solo-Klarinette hatte erst am Morgen des Konzertes von ihrem Auftritt erfahren. Aber auch Kontrabaß, Oboe, Streicher inklusive Konzertmeister mußten vertreten werden und konnten an den Proben nicht vollständig teilnehmen.
 
Krzystof Meyer, geb. 1943 in Krakau, geb. 1943 hat diese Hommage zum 150. Geburtstag von Johannes Brahms komponiert, den er sehr verehrt und vor dem er sich damit sozusagen musikalisch verneigt. Mächtige Schicksalsschläge der Pauke eröffnen das Werk. Das Orchester übernimmt das musikalische Geschehen mit Klängen, die an die Eröffnung von Brahms 1. Sinfonie erinnern. So also wird deutsche Romantik in das 21. Jahrhundert katapultiert. Das auf „Brahms“ gemünzte musikalische Motiv B-Re-A-H-Mi-Es ist für den Hörer schwer zu identifizieren. Glocken klingen über tiefen Bässen, wütendes, rasendes Stakkato der Celli und Kontrabässe wechselt mit mächtigen Posaunenrufen. Mysteriöse Streicherklänge entwickeln sich über der Felltrommel. Harte Orchesterelemente werden phasenweise aber auch in durchaus eleganter poetischer Weise verarbeitet Mit sparsamem, gleichwohl exaktem Dirigat ordnet Dimitri Jurowski die differenzierten Klangflächen des riesigen Orchesterapparats. Nach 13 lebendigen und intensiven Minuten ist der Spuk vorbei und endet nach rhythmisiertem Tutti-Thema mit einem Schlag des gesamten Orchesters und der Pauke. Hier soll daran erinnert werden, daß der Komponist in besonderer Weise mit Wuppertal verbunden ist, Die Uraufführung seiner Oper „Kyberiade“ im Barmer Opernhaus 1986 ist dem Rezensenten noch lebhaft in Erinnerung (Regie Friedrich Meyer-Oertel, Bühnenbild Hanna Jordan, Leitung: Jean Monnard) und auch die von Meyer vollende Oper Dimitri Schostakowitschs „Die Spieler“ wurde von den Wuppertaler Bühnen 1983 erstaufgeführt. Krzystof Meyer war Schüler von StanisÅ‚aw Wiechowicz und von Krzysztof Penderecki gilt als Protagonist der zeitgenössischen Musik, die sich ja in Polen seit Jahrzehnten besonderer Popularität erfreut („Warschauer Herbst“).
 
Anschließend gab es von Johannes Brahms (1833-1897) die Variationen über ein Thema von Joseph Haydn. 1864, zwei Jahre vor der 1. Sinfonie. erschienen, stehen sie zwischen den frühen Klavierwerken und seinen späteren Sinfonien. Brahms knüpfte damit sozusagen sinfonisch an die großen vorangegangenen Variationen für Klavier an (Goldberg Variationen von J.S. Bach, Diabelli-Variationen von Ludwig van Beethoven, u.a.) und als Gattung wurden sie ihrerseits Vorbild für die Orchestervariationen von Max Reger und Arnold Schönberg. Selbst „Erzfeind“ Richard Wagner scheint sie geschätzt zu haben, wenn er diese Variationen wie folgt kommentiert: „Man sieht, was sich in den alten Formen noch leisten läßt, wenn einer kommt, der versteht sie zu behandeln“. Einem fälschlicherweise Haydn zugeschriebenen Bläserdivertimento hatte J. Brahms das Thema entnommen, welches im Kern wohl einem alten, burgenländlichen Wallfahrtslied entspricht. Nach Vorstellung des Themas folgen acht Variationen, in den verschiedenste Aspekte sinfonischen Orchesterklangs vorgestellt werden vom Andante bis zum Piu vivace, vom Grazioso bis zum heiklen Presto. Die dem Orchester durchaus mögliche Brillanz und letzte Exaktheit schien bei schnellen Tempi und nicht ausreichend inspirierendem Dirigat nicht recht möglich. Prächtig kam aber zum Schluß die strahlende Passacaglia über die Rampe und das Publikum spendete reichlich Beifall.
 
Die Gro0e Sinfonie in C-Dur von Franz Schubert (1797-1828) hat der Komponist selbst nie gehört. Im Todesjahr fertiggestellt, verschwand sie in der Schublade seines Bruders und wurde, nach dem Robert Schumann sie dort gefunden hatte, erst 1839 in Leipzig unter Felix Mendelsohn Bartholdy uraufgeführt. Mit ca. 60 Minuten Spieldauer ist sie tatsächlich eine der großen Sinfonien nach Beethoven und blieb für viele Jahre eines der längsten Orchesterwerke überhaupt. Robert Schumann war bei der Uraufführung von der Sinfonie sehr begeistert, wie einem seiner Briefe an Clara zu entnehmen ist: „Clara, heut war ich selig. In der Probe wurde eine Sinfonie von Franz Schubert gespielt. Wärst Du da gewesen. Die ist nicht zu beschreiben. Das sind Menschenstimmen … wie ein Roman in vier Bänden von Jean Paul.“
 
Hier liefen Dirigent und Orchester zu Hochform auf. Nach dem langen, sauberen Hornsolo des Anfangs wecken mit seelenvoller Kantilene die Celli Erwartung. Atmendes großes Blech unterbricht herrliche Melodien der Holzbläser und dann geht es voran. Aus dem Andante wird Allegro und die Sinfonie eilt von Einfall zu Einfall. Der 2. Satz Andante lebt vom Gegensatz liedhafter, intimer Melodien von Oboe und Klarinette mit kräftigem Orchester. Anrührend singen auch leise Streicher gegen die Hörner. Rondoartig kehren die Themen der Holzbläser wieder bis nach „himmlischen Längen“ (Robert Schumann) plötzlich der Ernst des Daseins mit einer bedrohlichen Generalpause auf sich aufmerksam macht. Eine tröstlich aufblühende Cellokantilene führt schnell zurück in eine heitere Grundstimmung. Überhaupt erstaunlich, daß diese Sinfonie aus dem letzten Lebensjahr des Komponisten nichts von der traurigen Tristesse der anderen großen Komposition aus diesem Jahr, der „Winterreise“ zeigt. Das ruppige, sehr geschwinde, aufsteigende Thema des Scherzos (Allegro vivace) fordert die Konzentration aller, im langsameren Trio wird wieder gesungen. Mit rhythmischem Schwung geht nach der anfänglichen Fanfareneröffnung der Finalsatz los und wurde bald unterbrochen, konnte aber nach akuter notärztlicher Behandlung einer Geigerin mit Verve und Temperament glanzvoll zu Ende gespielt werden. Großer Applaus, Bravi, Blumen für den Dirigenten.
 

Foto © Johannes Vesper

Dmitri Jurowski stammt aus Rußland, kam mit seiner Familie im Alter von zehn Jahren nach Deutschland, gab wegen einer schmerzhaften Fingergelenksarthrose das Cello auf und studierte Dirigieren and der Hochschule Hanns Eisler zu Berlin. Als Opern- und Konzertdirigent sehr gefragt, wurde er 2011 Chefdirigent der Flämischen Oper Gent/Antwerpen und leitet seit 2015 in gleicher Funktion die Oper Nowosibirsk, wo er vom Ukrainekrieg nicht viel mitbekomme. Sibirien sei weit entfernt von allem. Aber er fürchte um seine große ukrainische Verwandtschaft, erzählte er mir nach dem Konzert. In Wuppertal dirigierte er im Juni 2017 das 10. Sinfoniekonzert in der 154. Saison des Sinfonieorchesters.