„Rot ist die Farbe des Lebens“

Verstörende Kunst von Anish Kapoor im Skulpturenpark Waldfrieden

von Johannes Vesper

Anish Kapoor - Sectional Body preparing for Monadic Singularity - Foto © Johannes Vesper

 „Rot ist die Farbe des Lebens“
Verstörende Kunst im Skulpturenpark Waldfrieden
 
Anish Kapoor - Skulpturen
 
Von Johannes Vesper
 
Welchen Sinn machen Texte über Kunst? Das fragte sich auch schon Constantin Brancusi. Warum über Kunst schreiben? Warum darüber lesen? Wichtiger ist jedenfalls hingehen und schauern. Die Ausstellung von Anish Kapoor im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden ist nur noch bis zum 1. Januar 2023 zu sehen.
 
Skulpturen dieses 1954 in Mumbai geborenen Künstlers stehen weltweit. In New Orleans spiegelt sich in der polierten Oberfläche eines mannshohen Quaders, die sich frontseitig zu einem Trichterloch in die Tiefe senkt und den Blick quasi ins Innere der Materie lenkt, die Umgebung des dortigen Skulpturenparks. Kapoors große Spiegelskulptur in Chicago (Cloud Gate 20x13x10m), aus 168 Stahlplatten verschweißt, auf Hochglanz poliert, spiegelt als riesige liegende Bohne („The Bean“) Besucher wie die gesamte Umgebung und überschreitet die Grenzen zwischen Skulptur und Architektur. „Davor fühlt man sich wie ein Insekt“ sagte Tony Cragg bei der Einführung der jetzigen Ausstellung in seinem Skulpturenpark. In London entstand zur Olympiade2012 „ Arcelor Mittal Orbit“ (115 m hoch). In München hängt in der Pinakothek der Moderne eine riesige Kugel aus dunklem PVC im Eingangsbereich.
 

„Untitled 1997“ Besthoff Sculpture Garden, New Orleans Museum of Modern Art - Foto © Johannes Vesper

„Farben und Pigmente benutzt Anish Kapoor als Primärmaterial“. In absolutem Kontrast zu solchen Lichtreflexionen verstören bei anderen Skulpturen tief schwarze Oberflächen, die das Licht nahezu vollständig absorbieren. Während die kosmischen Schwarzen Löcher des Weltalls nach der Relativitätstheorie ungeheure Gravitationskräfte im Zentrum ihres Ereignishorizontes entfalten, erweitern Kapoors skulpturale schwarze Löcher „als Orte voller Dunkelheit“ den Erfahrungshorizont des Zuschauers.
 Anish Kapoor möchte „Italiener in Venedig“ werden. Mit mehr als 1000 Tonnen rot pigmentierter Erde, die von einem kleinen, sehr blauen Bagger bewegt werden, erinnert er dort an die blutigen Opfer des Staatsterrorismus der argentinischen Militärjunta Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts.
„Als Student habe ich ihn schon Anfang der 70er Jahre in London kennengelernt, wo er aufgefallen war mit strengen, naturgeometrischen Linien“ erzählt Tony Cragg. Etwas später trafen sich beide in der Gruppe „New British Sculpture“, die sich als Reaktion auf minimal and conceptual art entwickelt hatte. Zu dieser Gruppe gehörte u.a. auch Richard Deacon, der im Waldfriedenpark bereits seit Jahren vertreten ist. Anish Kapoor hatte 1973 mit seinem Kunststudium in London begonnen.
Für ihn wurden die Farben Rot und Schwarz sehr bedeutsam. Sein Schwarz „Vantablack“, ursprünglich genutzt für Militär und Luftfahrt, absorbiert 99,96% des Lichtes und steht im Bereich der Kunst exklusiv nur ihm zur Verfügung. Vantablack schützt nicht nur den Tarnkappenbomber vor Radarblicken, sondern täuscht auch Zuschauer. Kapors großes schwarzes Loch im Museo Serralves (Porto) war so schwarz, daß ein Besucher es als solches nicht erkannt hat, auf die optische Täuschung herein- und ins Loch mit dem Namen „Abstieg in die Vorhölle“ hineinfiel.


Anish Kapoor Table of Law - Foto © Johannes Vesper

Hausherr Tony Cragg hatte zunächst eine Ausstellung mit bekannten Werken seines Freundes Anish Kapoor geplant, etwa im Sinne einer Retrospektive. Aber beeindruckt von der emotionalen Bildsprache jüngerer Werke, hat er das Konzept geändert. Seit 2003 arbeitet Anish Kapoor auch mit der Farbe Rot, die bei der Ausstellung in Wuppertal eine herausragende Rolle spielt. In der mittleren gläsernen Ausstellungshalle werden sechs packende Skulpturen präsentiert, Man mag sich gar nicht vorstellen, wer die riesige „Robe“ (295x170x86 cm, 2012, Silikon, Leinwand, verschiedene Materialien), blutrot getränkt über hohem Gestell hängend, wohl tragen soll. Rote Roben tragen hohe Richter und Kirchenfürsten. Der dreigeschossige Altar aus Stahl (381x157x278 cm) ist in seinem mittleren Geschoß angefüllt mit rot getränkten „Organen“: aus Leinwand und Silikon geformte Strukturen, die an das Material ausgeweideter Tierkadaver oder gar menschlicher Leichen erinnern. Der Titel „Table of Law“ läßt nichts Gutes ahnen. Sehen so die Folgen von Recht und Gesetz aus? Die Skulptur „Shade“ (2016 (Silikon, Fiberglas und Gaze) 230x325x225 cm) erinnert eher an einen Felsblock, dessen mit Netz überzogene breite Spalte an ein geöffnetes Tiermaul erinnern mag, jedenfalls aber den Blick in das Innere der Skulptur zuzulassen scheint. „Threshold Door“ (2019, Holz und Harz, 208x397x306 cm) zeigt eine weiße, blutig beschmierte Wand mit Türdurchlaß. Sie steht in einem ca. 20 cm hohen rechteckigen Becken, in welchem sich rote Farbe sammelt und über etablierte Abflüsse abfließen könnte.


 

Tony Cragg vor Anish Kapoors Dump - Foto © Johannes Vesper

„Dump“ (Müllhalde) (Stahl und Silikon, 200,5x426,213 cm) ist ein Abladeplatz für blutige Kadaverteile in der Ecke zweier dunkler Stahlwände. Unter ästhetischen Gesichtspunkten sind diese Skulpturen grauenvoll, unter künstlerischen aber bedeutsam: Packen sie doch den Zuschauer, brennen sich ihm ein, ergreifen und fordern ihn. Und allein „that matters“ stellte Anish Kapoor per Video fest. Wohl wahr. „Was wir hier sehen, sind blutige Folgen menschlicher Aktivität: Krieg, Verletzung, Folter, Mißachtung des Lebens, „reaction to the world as it is“… Natürlich gehen einem sofort aktuellen Kriegsverbrechen und banaler Weise auch die katastrophalen Schlachthöfe Ostwestfalens durch den Sinn. Aber mit der platten Zuordnung zu aktuellen Katastrophen wird man den existentiellen Werken dieses hoch politischen Künstlers nicht gerecht und blutige Gewalt gehört, nachdem das Paradies verlassen wurde, zur menschlichen Existenz dazu. Das ist das Thema dieser Werke.
 

Anish Kapoor - Sectional Body preparing for Monadic Singularity (Rückseite) - Foto © Johannes Vesper

Sein Einfluß und seine Bedeutung werden deutlich nicht nur durch seine öffentlichen Werke sondern vor allem auch in seinen Ausstellungen der letzten Jahre: Venedig (2022), Modern Art Oxford, (2021); Pinakothek der Moderne, München (2020), Central Academy of Fine Arts Museum and Imperial Ancestral Temple, Peking (2019), Fundación Proa, Buenos Aires (2019); Serralves, Museu de Arte Contemporânea, Porto, Portugal (2018), Universitätsmuseum für Zeitgenössische Kunst (MUAC), Mexiko-Stadt (2016), Schloss Versailles, Frankreich (2015), Jüdisches Museum und Toleranzzentrum, Moskau (2015), Gropius-Bau, Berlin (2013), Sakıp Sabancı Müzesi, Istanbul (2013), Museum für Zeitgenössische Kunst, Sydney (2012). Er vertrat Großbritannien schon 1990 auf der Biennale von Venedig, erhielt u.a. den Turner Preis 1991 und jetzt die Ausstellung bei Freund Tony Cragg in Wuppertal.
 

Anish Kapoor - Sectional Body preparing for Monadic Singularity (innen) - Foto © Johannes Vesper

In der Ausstellung im Skulpturenpark Waldfrieden präsentiert Anish Kapoor erstmalig in Deutschland seine begehbare Großskulptur „Sectional Body preparing for Monadic Singularity“ (732x732x732 cm). Sie entstand im Jahre 2015 und wurde damals im Schloßpark von Versailles gezeigt. Besucher sehen schon von Ferne Signalrot zwischen den grünen Bäumen des Laubwaldes aufleuchten und werden neugierig. Bei dem riesigen Würfel, in Schwarz und Rot wird nicht nur die Grenze zwischen Skulptur und Architektur verwischt, sondern auch zwischen Innen und Außen. Den Besucher erwartet sozusagen ein vierdimensionales Raumerlebnis. Die rote Frontfassade senkt sich trichterförmig ein, zieht den Blick gleichsam ins Innere der Skulptur und erlaubt dem Licht dank organisch transparenter, nicht zylindrischer Röhren Durchtritt durch, bzw. Eintritt in den schwarzen Körper der Skulptur. Beim Betreten des Inneren schwingen weitere rote, Trompeten ähnliche Strukturen durch die Dunkelheit. Wunderbar, wie Natur und Kunst in diesem Park miteinander spielen, wenn die schwarze Südfassade des Kubus zusätzlich zu den roten Eintrittslöchern - hier einer Fußballwand nicht unähnlich - durch das Schattenspiel der windbewegten Baumkronen belebt wird.
Welcher Aufwand getrieben werden mußte, um diese Skulptur zeigen zu können, erzählte Tony Cragg: „Vier große LKW kamen aus England. Zwei sehr große fahrbare Kräne transportierten die Bauteile an den Platz im Wald, der sich schon für die monumentalen Stelen von Heinz Mack angeboten hatte. Fünf Arbeiter arbeiteten 10 Tage an der Errichtung der Skulptur“.

Mit dieser Ausstellung zeigt sich wieder einmal, daß der Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal auf der waldigen Höhe über Unterbarmen zu den bedeutendsten Skulpturenparks nicht nur Deutschlands zählt.
 
Anish Kapoor - Skulpturen
Noch bis 1. Januar 2023 - Mittlere Ausstellungshalle
Skulpturenpark Waldfrieden, Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal.
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