Immer nur lächeln

Ein Reisefieber

von Rolf Nöckel

Rolf Nöckel - Foto © Frank Becker
Immer nur lächeln

Diplomatisches Auftreten ist nicht nur Sache der Botschafter. Auch der Tourist erfüllt in einem fremden Land eine Mission, ob er will oder nicht. Wie er sich in der Fremde verhält, wirft zunächst ein Licht auf ihn selbst, wirkt aber auch immer - ob gut oder schlecht - auf das Ansehen seiner Heimat.
       Vorsicht bei Gesten, Blicken und Körperhaltung! In fremden Kulturen kann eine freundlich gemeinte Handbewegung leicht zu peinlichen Mißverständnissen führen, weil sie im Ausland eine völlig andere Bedeutung hat. Daumen hoch! Dieses Zeichen wird in Amerika und Europa von Anhaltern benutzt. Überhaupt signalisiert der Daumen „Alles klar!” In Asien und Afrika muß der Reisende dagegen aufpassen: Hier versteht man den ausgestreckten Daumen als obszöne Geste, und es droht Prügel. Alles klar?
       Andere Gebärden sind oft eine Geheimsprache, mit der Kenner ihre Gefühle ausdrücken. So gibt es in Frankreich einen wortlosen Ausdruck für Langeweile: das wiederholte über-seine-Wange-Streichen mit der Hand von oben nach unten, wenn das Gegenüber schwätzt und schwätzt. Au Backe!
       In Fernost ist das System aus Sitten und Gebräuchen ein unsichtbares Netz, in dem sich der Fremde leicht verfängt. Hier lauern mehr Fettnäpfchen als der arglose Gast ahnt. „Deutsches“ Händeschütteln ist verpönt. „Sawasdee!” haucht in Bangkok die Dame im farbenprächtigen Gewand, legt ihre Hände in Stirnhöhe zusammen, Verbeugt sich würdevoll - und auf ihren Lippen ruht das ewige Lächeln, das Besucher aus Europa nicht selten irritiert. Ja, das Lächeln: Es hilft, das Gesicht zu wahren. Passiert Ihnen im Restaurant ein Mißgeschick und Sie lassen eine Tasse auf den Boden fallen, werden alle Thais ringsum Sie höflich anlächeln. Nicht aus Schadenfreude, sondern um in dieser Situation die Verlegenheit der „Langnase” aus Europa zu überstrahlen. Sie genieren sich für den kleinen Gesichtsverlust des anderen.
       Gesichtsverlust? Da sind deutsche Fußballstars nicht so zimperlich. Nicht erst seit Herrn Effenberg wissen wir: Der ausgestreckte Mittelfinger ist eine vulgäre Beleidigung - weltweit.
       Verkehrte Welt: Was (nicht nur) bei einer Polizeikontrolle hierzulande mit Anzeige und saftigem Bußgeld geahndet wird, gilt in New York oder Chicago als fröhliche, anerkennende Geste der hohen Intelligenz des Gegenüber. In den USA dürfen Sie Ihren amerikanischen Mitmenschen ruhig einen Vogel zeigen. Das bedeutet: Du bist ganz schön clever, mein Junge! Wenn auf diese kleine Piep-Schau ein nettes „Thank you my friend” folgt - dann sind Sie an einen echten Einheimischen geraten...
 
Rolf Nöckel

Text mit freundlicher Erlaubnis aus „Kompass und Wind“ von Rolf Nöckel (1953-2017)
2005 WDL-Verlag Berlin