Die Verknüpfung von Sexualität und Verbrechen mit den Sphären des Heiligen

Torsten Voß über den ersten amerikanischen Kunstfilm „Salomé“

von Uwe Blass

PD Dr. Torsten Voß Foto UniService Transfer
Die Verknüpfung von Sexualität und Verbrechen
mit den Sphären des Heiligen
 
Der Germanist Dr. Torsten Voß über den
ersten amerikanischen Kunstfilm „Salomé“
 
Am 15. Februar 1923 feierte ein ganz außergewöhnlicher Film in den Vereinigten Staaten seine Premiere: Salomé. Er basiert auf der bereits 1883 erschienenen Tragödie gleichen Titels von Oscar Wilde. Worum geht es darin?

Voß: Auf den ersten Blick ist es die Dramatisierung einer biblischen Geschichte, transformiert in die Ästhetik der Décadence, des Symbolismus und Ästhetizismus. Der Tod des Heiligen Johannes des Täufers auf Geheiß des ehebrecherischen Monarchen Herodes Antipas, welcher vom damals einflußreichen Eremiten Johannes öffentlich angeklagt wurde, herbeigeführt durch den zum Mythos gewordenen Tanz seiner Stieftochter Salomé wird bei Oscar Wilde ganz stark gebunden an die Verbindung zwischen dem Bußprediger und Salomé. Johannes muß ein fürchterlich lärmender Mensch gewesen sein, der den ehebrecherischen Herodes, der die Frau seines Bruders als Gattin genommen hatte, öffentlich anklagte. Wir wissen alle, durch den zum Mythos gewordenen Tanz seiner Stieftochter Salomé, ist Johannes derjenige, der dann enthauptet wird.
Im Mittelpunkt steht ein unerfülltes und unerwidertes Begehren der Königstocher gegenüber dem Täufer, was zugleich die eigentliche Motivation für dessen Enthauptung ist. In einem Auszug aus Wildes Tragödie heißt es: „Salomé: Ich bin verliebt in deinen Leib, Jochanaan! Dein Leib ist weiß wie die Lilien auf einem Felde, das nie die Sichel berührt hat. [...].“ Und er antwortet: „Zurück, Tochter Babylons! Durch das Weib kam das Übel in die Welt.“ Das ist der Disput zwischen den beiden Protagonisten dieses Geschlechterkampfes: Der Heilige entzieht sich dem lustvollen Begehren Salomés und weist sie zurück. Sie wird dadurch zu eigentlichen Triebkraft hinter seiner Ermordung und erfüllt damit bei Wilde das dekadente Motiv der ‚femme fatale' oder der 'belle dame sans merci’, der schönen Dame ohne Mitleid, die im 19. Jahrhundert zu einer eigenen Männerphantasie wird.


Lovis Corinth, Salomé, 1910

Oscar Wilde hatte die Tragödie in Französisch verfaßt und, da die englische Zensur das Werk verbot, auch 1896 in Paris uraufführen lassen. Was störte denn die englischen Sittenwächter?

Voß: Die englischen Sittenwächter hatten öfters Probleme mit der Literatur. Das eigentliche Skandalon bestand darin, daß der Transfer des biblischen Mythos in eine Erotomanie zwar ein gängiges Verfahren in der dekadenten Literatur und Malerei ist, man denke nur an die Gemälde von Gustave Moreau oder die Zeichnungen von Aubrey Beardsley, der ja auch Wildes Tragödie illustriert hat. Bei ihm hält Salomé das abgeschlagene und blutende Haupt des Täufers in den Händen und schmachtet es lüstern an. Mit solchen Zeichnungen eckte er immer wieder in der viktorianischen Gesellschaft an. Eine sexualpathologische Instrumentalisierung sakrosankter Gestalten war enorm provokativ. Nicht nur Oscar Wilde hatte im ausgehenden 19. Jahrhundert mit derlei Sittenwächtern zu kämpfen. Seine Zeitgenossen Charles Baudelaire („Fleurs du mal“), Algernon Charles Swinburne („Poems and Ballads“) oder Gustave Flaubert („Madame Bovary“) wurden mit einem Teilverbot, ja einer Zensur ausgewählter Gedichte aufgrund der Vorwürfe der Gotteslästerung und der Sittenverderbnis belegt. Flauberts Roman „Madame Bovary" geriet schon wegen seiner nur andeutenden Erotik zum Skandal. Wilde selbst fühlte sich – auch durch seine Freundschaft mit dem großen symbolistischen Lyriker Stéphane Mallarmé - ein Autor übrigens, dem wir auch ein Dramenfragment zu eben dieser Thematik unter dem Titel „Hérodiade“ bzw. „Herodias“ verdanken; dort muß Johannes übrigens sterben, weil er die Titelfigur jenseits ihrer Künstlichkeit, also in natura gesehen hat – mit der französischen Kultur und Ästhetik des Ästhetizismus und des Fin de Siècle auch wesentlich verbundener als mit seiner eigenen. Er fühlte sich quasi als Franzose.


Max Klinger, Salomé 1913 - Foto © Frank Becker

Der Film löste einen Skandal aus. Die Hauptdarstellerin Alla Nazimova ließ angeblich verkünden, daß die Besetzung als Hommage an Oscar Wilde aus vorwiegend Bi- und Homosexuellen bestehe. Der Film wurde daraufhin wegen seiner offenen Darstellung von Homosexualität stark zensiert. Paßte das nicht zu einem biblischen Thema?

Voß: Was Nazimova getan hat, war damals sehr mutig, nicht nur, weil sie homosexuelle Männer und Frauen in diese Inszenierung hineingeholt hatte, sondern das Interessante ist, daß sie es angeblich öffentlich verlautbaren ließ. Wenn man es unter den Teppich gekehrt hätte, hätte es dies Provokanz nicht gehabt. Aber das war etwas, was man sich im durchaus puritanischen Hollywood erst einmal trauen mußte. Man darf nicht vergessen, man konnte zwar fünf uneheliche Kinder haben, aber man mußte den Vater irgendwie zurückverfolgen können. Gleichzeitig muß man auch sagen, bereits die Thora verbietet, „bei einem Manne [zu] liegen wie bei einer Frau“ und bedroht die Beteiligten mit der Todesstrafe. Sie sanktioniert also den Akt der Liebe, der Sexualität, mit entsprechender Verdammnis. Pikanterweise hat ja auch Oscar Wilde den Schleier der Salomé angelegt. Von dieser Variante des Cross-Dressings oder des Gender-Switchings gibt es Fotographien, die Oscar Wilde im Gewand der Salomé zeigen. Eine so freie Umbesetzung kanonisierter und biblisch legitimierter Figuren und der damit verbundenen Rollen auf der Bühne oder im Film paßte weder in die zeitgenössisch etablierte diskursive Norm der Geschlechter hinein, noch in das Verständnis vom johanneischen Mythos. Und man wollte sich damals noch nicht mit den eigentlichen Institutionen der Moralvertreter, sei es Kirche oder Staat, auf diese Weise anlegen.

In Europa gab es bereits erfolgreiche Kunstfilme, ´Das Cabinet des Dr. Caligari` (Regie: Robert Wiene) von 1919 oder ´Nosferatu, eine Symphonie des Grauens` von 1922 (Regie: Friedrich Wilhelm Murnau), die beide auch in den USA erfolgreich waren. ´Salome` war der erste Kunstfilm der USA, und trotzdem das Life Magazine schrieb: „Die Personen, die für Salomé verantwortlich sind, verdienen von ganzer Seele die Dankbarkeit eines jeden, der an die Möglichkeiten des Films als Kunst glaubt“, war der Film ein totaler Mißerfolg. Woran lag das?

Voß: Das Life Magazine schrieb nur eine der wenigen positiven Rezensionen, andere amerikanische Kulturzeitschriften oder Tageszeitungen haben darüber sehr polemisch und negativ geschrieben und den Film sowohl als eine intellektuelle Überforderung, als auch als ein krankes Machwerk apostrophiert.
Die ersten beiden Werke in der oben genannten Frage sind im Unterschied zu „Salomé“ Thriller bzw. Horrorfilme. Mit dieser filmischen Umsetzung literarischer Stoffe aus dem Bereich der schwarzen Romantik und der Gothic Novel, des englischen Schauerromans, konnte man sich eher auch innerhalb eines Durchschnittspublikums anfreunden, da sie trotz aller Kunstfertigkeit das desire for thrill befriedigten und damit die Rezipienten nicht überforderten. Ganz anders dagegen bei Charles Bryants „Salomé“. Das Überangebot an manierierter Gestik, Mimik und Motorik in dem Film von 1923 – obwohl, was sollen Stummfilme anderes machen als ein Überangebot an Theatralisierung und choreographischem Pathos zu bieten, da ihnen ja die Sprache fehlt und man sich nur auf die Konzentration auf das Visuelle verlassen kann – schien im Zusammenhang mit der religiösen Thematik zu befremden. Vampire, Schurkenfiguren und Mad Scientists mag man da eher akzeptieren, aber Figuren aus einer Heilsgeschichte sind da ganz anders gewichtet und dementsprechend unorthodox. Freilich stehen sowohl bei Wilde als auch bei der filmischen Adaption durch Charles Bryant auch der Wunsch nach der Erzeugung von Aufmerksamkeit durch eine revolutionäre Ästhetik und einer Durchkreuzung etablierter Moralvorstellungen im Mittelpunkt. Mit all dem war wohl auch das Filmpublikum damals stark überfordert. Entrüstung paarte sich innerhalb der Rezeption mit Langeweile und Desinteresse, was wohl auch an der schon erwähnten Art der Choreographie lag.

Das Thema selber faszinierte trotzdem weiter. Berühmt wurde Wildes Stück dann als sogenannte Erotik- und Mord-Oper durch Richard Strauß - in Wuppertal letztmalig in der Spielzeit 2014/15 zu sehen -, die in diesem Jahr u.a. in Inszenierungen in Berlin, Mailand und Zürich gezeigt wird. Und auch Al Pacino hat sich in seiner zweiten Filmregiearbeit mit dem Titel „Wilde Salomé“ damit auseinandergesetzt. Was reizt Kunstschaffende an diesem Thema bis heute?


Elena Fink als Salomé © Karl-Heinz Krauskopf - Screenshot

Voß: Die Verknüpfung von Eros und Thanatos bzw. von Sexualität und Verbrechen mit den Sphären des Heiligen hat aufgrund seiner provokativen Verve schon etwas Faszinierendes in sich getragen, da sich darüber die Kunst autark über Konventionen hinwegsetzen und einen subversiven Gegendiskurs einnehmen kann. Sie macht dadurch das Heilige zum eigenen Stilmittel. Das ist etwas, was Kunst letztendlich, wenn sie gut sein möchte und wahrgenommen werden möchte, immer tun sollte: eine Sprache zu sprechen, die sich auch von etablierten Diskursen zu emanzipieren weiß. Sonst wäre sie schlichtweg Konvention bestätigende Propaganda.
 
Uwe Blass

PD Dr. Torsten Voß ist Lehrbeauftragter im Teilfach Neuere deutsche Literatur in der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften an der Bergischen Universität.