6. Sinfoniekonzert der 160. Saison des Sinfonieorchesters Wuppertal

„Ozeandampfer“: César Franck und Sergej Rachmaninow in d-Moll

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

6. Sinfoniekonzert der 160. Saison des Sinfonieorchesters Wuppertal
 
„Ozeandampfer“: César Francks Sinfonie d-Moll
und
Sergej Rachmaninows 3. Klavierkonzert mit Alexei Volodin
 
Von Johannes Vesper
 
Geboren in Lüttich, tätig in Paris, starb César Franck 1890 nach Verkehrsunfall mit einem Pferdeomnibus an einer Brustfellentzündung. Die Aufführung seiner Sinfonie „Ozeandampfer“ jetzt hier in Wuppertal geschieht noch fast zum 200. Geburtstag. Musikalisch suchte er in Paris als Komponist und Organist seinen Weg. César Franck (1822-1890) gründete 1871 die Société Nationale de Musique, um den deutschen Einfluß auf die französische Musik zu begrenzen. Nationalismus auch in der Musik war damals en vogue, hatte doch schon Richard Wagner bzw. Hans Sachs von „welschen Tand“ gepredigt. Neben Kammermusik, Orgelwerken, seiner berühmten Violinsonate (1886) und den sinfonischen Dichtungen gilt seine im Rentenalter komponierte Sinfonie in d-Moll als sein bedeutendstes Werk. „… alles Gefühl und beinahe nichts reine Vernunft«, glaubte Romain Rolland. Jedenfalls schwere Musik in Frankreich, wo die Oper damals höchsten Musikgenuß versprach.
Schon im aus der Tiefe aufsteigenden Hauptmotiv (d-cis-f), welches sich verhalten, geheimnisvoll, schwermütig entwickelt, musizierte der Riesenapparat des Sinfonieorchesters Wuppertal edel ausdrucksvolle Dynamik im stillen Pianissimo. Solche Subjektivismen läßt der stets zupackende, souveräne Patrick Hahn nicht oft zu. Nach klangvollem Tremolo der tiefen Streicher folgte stürmisch ein orchestraler Ausbruch mit beherrschenden Paukenwirbeln. Mit dem triumphalen, rhythmisierten 2. Thema in Dur und der Umkehrung des ersten Motivs belebte sich das Geschehen. Nach orchestraler Durcharbeitung endete der 1. Satz in strahlendem Dur.
Das Allegretto des 2. Satz eröffnet Harfe mit Streicher Pizzicato solo, bald kommen das herrliche Englisch Horn, dann das Horn im ¾ Takt dazu. Ein geisterhaftes, an Waldweben und Sommernachtstraum erinnerndes integriertes Scherzo (Querflöte zum Streicherpizzicato!) bricht ein. Und Attacca stürmt der 3. Satz mit sehr kräftigem Blech vorwärts, welches die Streicher zeitweise zudeckte. Marschcharakter und wogende Romantik wechseln episodenhaft ab. Das Tempo nimmt zu, wunderbar verhalten erschien das Thema im Cello, in der hellen Flöte, dazu plumpsten die Sforzati der Kontrabässe, bis die Harfe erneut erklingt. Am Ende beenden volle Bläser versöhnlich die spätromantische Sinfonie. Von drohender Moderne keine Rede. Das Publikum zeigt sich überaus beeindruckt und spendete großen Applaus.
 

v.l.: Nikolai Mintchev (1. Konzertmeister), Alexei Volodin am Flügel, am Pult Patrick Hahn - Foto © Johannes Vesper

Nach der Pause gab es mit Alexei Volodin am Flügel das 3. Klavierkonzert vom „romantischen Spätling“ Sergej Rachmaninow (1873-1943), der Strawinsky als grandioser Filmmusiker galt. Er hat die Romantik ins 20. Jahrhundert fortgeführt. Vielleicht hat ihn sein absolutes Gehör daran gehindert die Hetero- bzw. Kakophonie der Moderne, der Atonalität mitzumachen. Aber Im Winter 1915 schriebt er für die Opfer des Weltkriegs seine «Nachtmesse», ein Gebet für alle, denen die entsetzlichen russischen Jahre der Revolution, des Bürgerkrieges, des Terrors, Stalin noch bevorstand. Sein 3. Klavierkonzert hatte er da nach drei erfolgreichen Jahren in Dresden (1906-1909) für seine USA Tournee (1909) schon komponiert. Vielleicht nimmt das Motto dieses Konzerts („Ozeandampfer“) Bezug darauf, daß der Komponist bei der Überfahrt auf dem Ozeandampfer mit einem stummen Klavier vorliebnehmen mußte.
Mit der melodisch wie rhythmisch (Verschiebung der Betonung) reizvollen Eröffnungsmelodie singt das Klavier elegisch vielleicht von der Liebe des Komponisten zu Rußland, jagt bald los, und der Pianist greift weit aus, um die größte Dichte von Noten pro Zeiteinheit in der Klavierliteratur zu gestalten. Dabei handelt es sich nicht allein um einen brillanten Parforceritt für Virtuosen, welcher heute vom lauten Orchester zweitweise überdeckt wurde. Im langsamen Zwischenspiel atmete der Flügel unter dem souveränen, hochvirtuosem Alexei Volodin reine Musikalität. Das Orchester begleitete aufmerksam, einfühlsam, auch heikelste Einsätze am Ende kadenzartiger Klaviersoli, in die sich das Publikum höchst aufmerksam und mucksmäuschenstill versenkte. Erst nach langer elegischer Streichereinleitung und herrlichem Oboensolo übernimmt das Klavier mit fallenden Klavierkaskaden und klagendem liedhaften Thema die musikalische Führung in dem Adagio-Intermezzo des 2. Satzes, welches ebenfalls eine Scherzo-Episode mit rasendem Walzer aufweist. Vollgriffig, kraftvoll und virtuos beeindruckte Alexei Volodin sein Publikum. Seitdem er 2003 den 1. Preis beim 9. Concours Géza Anda in Zürich gewonnen hat, ist er in den Konzertsälen Europas zu Hause (Wiener Konzerthaus, Concertgebouw Amsterdam, Münchener Herkulessaal, Frankfurter Alte Oper u.a.).Schon 80mal hat er dieses vielleicht schwierigste Konzert der Klavierliteratur öffentlich gespielt, las man. Jedenfalls bietet sein Klavierspiel zwischen Gänsehaut und staunend offenem Mund ungeteiltes Vergnügen.
Mit knallenden Orchesterschlägen begann der 3. Satz (Finale, alla breve), schwierigste, Hochgeschwindigkeitspassagen, differenzierte Lautstärken wie Temposchwankungen wurden souverän, fast elegant gestaltet, ließen den Pianisten aber gelegentlich doch zum Schweißtuch greifen. Gewaltig endete das Feuerwerk pianistischer Höchstleistung in der Schlußapotheose. Die Uraufführung in New York wurde seinerzeit vielleicht wegen der Länge zwiegespalten, nicht völlig enthusiastisch aufgenommen. Nicht so in Wuppertal. Bravi, Bravissimi, stehende Ovationen, Blumen für Alexei Volodin und Patrick Hahn. Mit zwei Zugaben (Chopin Etüde As-Dur op. 25 Nr.1, Rachmaninow Prélude f-Moll op. 32 Nr. &) bedankte sich der Star beim enthusiasmierten Publikum.
 
Ozeandampfer: 6. Sinfoniekonzert, Sonntag, 12.02.2023, 11:00 Uhr und → Montag, 13.02.2023 20:00 Uhr.
Historische Stadthalle Wuppertal - Besetzung und Programm:
Alexei Volodin, Klavier, Sinfonieorchester Wuppertal, Patrick Hahn, Dirigent.
César Franck (1822-1890) Sinfonie d-Moll 1. Lento-Allegro non troppo, 2. Allegretto, 3. Allegro non troppo
– Pause –
Sergej Rachmaninow (1873-1943), Klavierkonzert Nr. 3 d-Moll op. 30 . 1. Allegro man non tanto, 2. Intermezzo. Adagio, 3. Finale. Allabreve.