Klagen eines Jünglings
Nimmer schwanden undankbar die Freuden
traumgleich mir in öde Fernen hin;
Jede färbte, lieblicher im Scheiden,
mit Errinnrung meinen trunknen Sinn;
Mit Errinnrung, die, statt zu ermüden,
neue, heilge Wonne mir entschloß,
und mir süssen jugendlichen Frieden
Um die rebengrünen Schläfe goß.
Seit ich mehr aus schöner Wangen Röthe
mehr aus sanften, blauen Augen las,
oft, wenn schon die scharfe Nachtluft wehte
im beseelterm Traume mich vergaß;
meinem Herzen nachbarlicher, wärmer,
da den Schlag der Nachtigall empfand,
und entfernt von meinem Klärchen ärmer
mich als jeder dürft'ge Pilger fand:
Lachet, ew'ge Gottheit in dem Blicke,
mich mein sonnenschönes Leben an,
Amor täuscht mich nicht mit List und Tücke,
Ganymeda nicht mit kurzem Wahn;
Jedes Lüftchen nähert sich mir milder,
das dort Blüthen wild herunter haucht;
üppig drängen immer frische Bilder
sich zu mir, in Rosenöl getaucht.
Zypris Tauben warten schon mit Kränzen
und mit Traubenbechern meiner dort,
und in leichtverschlungnen Freudentänzen
reisset Amors Bruderschwarm mich fort.
Von der Grazien und Musen Lippen
schmachtet mir entgegen mancher Kuß;
Götterwonne kann ich selig nippen,
schwelgen da im freundlichsten Genuß.
Dennoch lodern öfters Purpurgluthen
Mir um meine Wang und meine Stirn,
wenn sich unter Stürmen, unter Fluthen,
wie des Abends leuchtendes Gestim,
mir, umstrahlt von ächter Freyheit Kranze,
eines edlen Dulders Seele zeigt,
den der Himmel nicht in seinem Glanze
nicht die Höll' in ihren Nächten beugt.
Kraftlos fühl' ich mich von dem Geschicke
zum unmännlichern Genuß verdammt;
vor Gefahren beb' ich feig zurücke
weil nicht muth in meinem Busen flammt.
Weibisch hat das Schicksal mich erzogen,
nicht sein Liebling, nur sein Sclav bin ich;
Amor hat mich schmeichlerisch umflogen
statt der Sorge, die mir stets entwich.
Statt der ernstern, rühmlicheren Lanze
wieget einen Hirtenstab mein Arm;
nimmer wurde mir im Waffentanze
aber oft im bunten Reigen warm:
alle großen, strahlenden Gefahren
Hat mein Schicksal von mir abgewandt,
und nur unter frohe Mädchenschaaren
statt in Feindes Haufen mich gesandt.
Parze, hast du jemals deine Spindel
nach dem Flehn des Erdensohns gedreht,
dem kein bald entwichner Zauberschwindel,
um die flammendheissen Schläfe weht:
O! so nimm, was Tausende begehrten,
was mir üppig deine Milde lieh,
gieb mir Sorgen, Elend und Beschwerden,
Und dafür dem Geiste Energie.
Ungeduldig soll die Flamme lodern
meines Dankes dann von dem Altar;
nichts mehr sollen meine Wünsche fordern,
frey und gnügsam macht mich die Gefahr;
Doch versagest du mir diese Bitte
O! so kürze, wenn du streng nicht bist,
mindestens geschwind nur meine Schritte
nimm dies Leben, das nicht Leben ist.
Novalis
(d.i. Georg Philipp Friedrich von Hardenberg)
Novalis' erstes veröffentlichtes Gedicht ist
im April 1791 in Wielands «Neuem Teutschen
Merkur» erschienen. (Band 1/1791, S. 410-413)
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