Rock meets classic: Genesis mit „Selling England by the Pound“

Perfekte Show in Wuppertal

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

Rock meets classic:
Genesis mit „Selling England by the Pound“
 
Perfekte Show in Wuppertal


Von Johannes Vesper
 
Tage alter Rockmusik: Vom 14. bis 16. April 2023 traten in der Historischen Stadthalle Wuppertal Ex-Genesis-Gitarrist Steve Hackett & Band zusammen mit dem Sinfonieorchester Wuppertal und dem Chor Amici del Canto auf, eine Exklusiv-Show zur Eröffnung der Deutschland-Tournee 2023. Schon 2013 waren Procol Harum mit dem SOW und der Kantorei Barmen Gemarke im Großen Saal gewesen. Ursprünglich für 2020 geplant und wegen Corona verschoben, waewn die Genesiskonzerte jetzt seit Wochen ausverkauft. Die Reanimation des Genesis-Meisterwerks „Selling England by the Pound“ erfolgt ziemlich genau 50 Jahre nach der Erstaufführung der Genesis-Band, die insgesamt 150 Millionen Alben verkauft hat. Wow!
Das Album (auf Deutsch „England pfundweise verkaufen“) mit seiner zeitlosen politischen Aussage erschien 1973 und gilt als eines der einflußreichsten Progressiv-Rock-Alben. Dabei war Prog-Rock nie so populär wie der Rock `n` Roll Bill Hayleys in den in den 50ern, der der Beatles oder der an Folk orientierte Rock von z.B. Bob Dylan in den 60ern, gegen deren Ende sich, etwas verkopft durch Einbeziehung auch von klassischer Musik und Jazz der Prog-Rock entwickelte. Genesis war Anfang der 70er Jahre mit Peter Gabriel maskiert und verkleidet aufgetreten, seitdem diente die Kombination aus Musik und visuellen Effekten (Licht und Laser) der Popularität.
 
Steve Hackett (*12.02.1950), der 1977 aus der Genesis-Band ausgeschieden ist, verfolgte seitdem seine eigene Solokarriere als Gitarrist, ließ aber musikalisch von Genesis nicht ab. „Ich hatte immer gehofft, daß die Musik von Genesis eines Tages mit Orchester aufgeführt werden würde. Dieser Traum ist inzwischen Wirklichkeit geworden. Die Wuppertal-Shows setzen allerdings noch eines obendrauf: Dort gibt es zusätzlich zu den Sinfonikern und meiner außergewöhnlichen Rockband auch noch einen Chor. Das verspricht ein wirklich unglaubliches Erlebnis zu werden!“ Am Freitag, dem 14.04.2023 gab es lebhaften Begrüßungsapplaus für das Sinfonieorchester und die Amici del Canto auf der Chorempore. Frenetisch begrüßten die Fans zuletzt ihr Idol mit seiner Band, deren umfangreiches Instrumentarium vorne an der Rampe über die ganze Bühnenbreite aufgebaut war. Die Schlagzeugbatterie der Band war wohl aus Lärmschutzgründen von gläsernen Paravents umstanden. Vorab: der Lärmpegelbereich an diesem Abend lag oft weit über 85 dB. Da drohen Gesundheitsschäden. Die Musik wurde kombiniert mit psychedelischen, kreisend vernebelten Lichteffekten, bunten Scheinwerferkegeln, bewegten Projektionen und Schattenrissen meist im Rhythmus der Musik an Decke und den Wänden des abgedunkelten Saals. Die Nebelmaschinen waren stark beschäftigt.
 

v.l.: Nad Sylvan Steve Hackett - Foto © Johannes Vesper

Nun zur Musik: Motivfetzen wurden über ostinaten, starren Rhythmen, und Orgelpunkten getragener Grundstimmung eingeworfen von den verschiedensten Instrumenten, u.a. von Block-, Blech und Querflöte, von den Gesangssolisten, der Klarinette, vom Saxophon, dem E-Klavier, der Doppelhalsgitarre. Alle Instrumente, auch das Orchester, am wenigsten noch der Chor, wenn man ihn denn hörte (nach der Pause öfter!), klangen durch die groteske elektronische Verstärkung erheblich verfremdet. Der Chor bot immer wieder Hintergrundklänge für die Solisten auf der Vorderbühne. Auch die Glissandi und virtuose Passagen von Steve Hacket, der durch seine verletzte Hand nicht eingeschränkt schien, waren bei der Verstärkung zunächst kaum als Gitarrenklang identifizierbar. Die musikalische Entwicklung erfolgte vor allem über die Lautstärkeregelung, zu der die Solisten per Fuß ununterbrochen volume paddels mit dem Fuß traktierten. Eingestreute, harte Generalpausen, plötzliche dynamische Ausbrüche strukturierten das musikalische Geschehen. Die Musik dieser Lautstärke wurde vor allem über Vibrationen von Zwerchfell, Bauchwand Leber, Gebärmutter usw. erfahren. Gottseidank hat die Stadthalle das alles ausgehalten.
Die Intimität von „Blood On the Rooftops“ kontrastierte wohltuend zu dem Getöse. Überhaupt kamen kammermusikalisch besetzte Stücke am schönsten herüber. Amanda Lehmann, eher in sanftem Rock zu Hause, hat bei ihrem Schwager Steve Hackett schon häufiger mitgesungen und wirkte als einzige Frau in der männerlastigen Band dem Eindruck entgegen, Progrock sei eine Musik nur alter weißer Männer. Außerdem bot sie mit ihrem kultivierten Gesang für wohltuende Abwechslung.
 

Amanda Lehmann - Foto © Johannes Vesper

Die Fans (Durchschnittsalter geschätzt 69,5 Jahre) waren jedenfalls begeistert, fühlten sich in ihre Jugend zurückversetzt und waren schier aus dem Häuschen. Der kanadische Dirigent Bradley Tachuk, der Steve Hackett schon 2017 mit dem Buffalo Philharmonic Orchestra begleitet hatte, beherrschte auch heute als souveräner Kapellmeister den riesigen Apparat aller Mitwirkenden, obwohl auch mein Sitznachbar, stimmlich nicht unbegabt, nicht als einziger viele Stücke mitgesungen, aber alle gestenreich mit dirigiert hat.
Was bringt nun der Export dieser Musik aus Clubs und Discos in einen Konzertsaal der musikalischen Hochkultur und die Kombination mit Sinfonieorchester und Konzertchor? Musikalisch wenig, erlebt man Steve Hackett alleine unplugged nur mit seiner Gitarre auf dem Sofa (https://www.youtube.com/watch?v=mXFPzdvu3vs). Aber die Fans waren von überall hergekommen, begeistert von der perfekten Show und jubelten mit frenetischem Beifall bis zur Zugabe.
 
Steve Hackett wurde begleitet von Roger King (Keyboards), Gary O'Toole (Drums/Percussion, Gesang), Rob Townsend (Saxophon/ Flöten, Percussion), Bassist Jonas Reingold und Leadsänger Nad Sylvan. Außerdem vom Sinfonieorchester Wuppertal (Leitung Bradley Tachuk) und vom Chor Amici del Canto (Leitung Dennis Hansel). Amanda Lehmann Gesang/Gitarre.