Himmlische Freuden

Marlis Peterson und das Sinfonieorchester Wuppertal mit Alban Berg und Gustav Mahler

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

Himmlische Freuden
 
Marlis Peterson und das Sinfonieorchester Wuppertal unter GMD Patrick Hahn
im 10. Abonnementskonzert der 160. Saison

Marlis Petersen ist ein Weltstar auf der Opern- und Konzertbühne.
 
Anton Webern (1883-1945) und Alban Berg (1885-1935) haben mit der Atonalität die moderne Musik zu Beginn des 20. Jahrhunderts beeinflußt wie kaum jemand anderes. Ihr Lehrer Arnold Schönberg (1874-1951) meinte zwar, „Malerei und meine Musik haben nichts gemein“, hat aber selbst gemalt, um seine „Emotionen, Ideen und Gefühle“ mitzuteilen. Vielleicht ist also die parallele Entwicklung von Abstraktion in der Malerei und Atonalität in der Musik kein Zufall. Das erste der 31 Werke von Anton Webern stammt aus dem Jahre 1908, das erste abstrakte Bild von 1910 (Kandinsky), bzw. von 1906 (Hilmar af Klint). Bei Weberns op. 1 wird das 8-taktige ruhige Thema im Pizzicato vorgestellt, kammermusikalisch entwickelt, bis dann das große Orchester sich sinfonisch temperamentvoll erregt, das ostinate Thema in die Tiefe verlagert wird, gestopfte Tuba und mächtiges Schlagzeug das Ihre zur lyrischen Dramatik beitragen. Im Gefolge der Brahmsschen 4. steht diese Passacaglia mit dem abwechslungsreich und groß besetzten Orchester und spätromantischem Lyrismus an der Grenze zur Atonalität. Nach leisem Blech und verhaltener Pauken zeigte sich das Publikum mit langer Pause vor dem losbrechenden Applaus schwer beeindruckt.
 
Nach diesem Ohrenöffner stand im Folgenden der Sopran Marlies Petersens im Mittelpunkt. Die sieben frühen Lieder Alban Bergs (1885-1935) entstanden 1905-1908; gewidmet hat er sie seiner Helene und späteren Frau, der jungen Wiener Sängerin, von der es hieß, sie sei eine uneheliche Tochter von Kaiser Franz Joseph I. Die Uraufführung mit Orchester der ursprünglich für Klavier und hohe Stimme mehrfach bearbeiteten Lieder - sozusagen Bearbeitung eigener Bearbeitungen - fand erst 1931 statt. Während die Lieder 1 und 7 von vollem Orchester begleitet wurden spielte bei den anderen das Orchester mehr oder weniger reduziert. Gedichte von Carl Hauptmann, Niklaus Lenau, Theodor Storm, Rainer Maria Rilke, Johannes Schlaf, Paul Hohenberg und Erich Hartleben wurden hier vertont. Sensibilität, Emotionen, Naturbeobachtung, Liebe und Zuneigung, Schönheit schon der Texte weckten große Erwartungen an die Musik, deren Farbigkeit und Harmonik die gewaltigen Katastrophen der Moderne (noch) nicht erahnen lassen. Und Marlies Petersen füllte mit ihrem lupenreinen, auch in höchsten Höhen herrlich klaren Sopran, immer aufmerksam und sensibel begleitet vom großen Orchester unter Patrick Hahn, mit diesen Orchesterliedern den Großen Saal der Historischen Stadthalle bei eingeschränkter Textverständlichkeit. Großer Applaus
 

Marlis Peterson - Foto © Johannes Vesper

Und in der Pause erging sich das Publikum an diesem zum 7. Lied passenden sonnigen „Tage der Welt, gesandt aus blauer Ewigkeit“ im Stadthallengarten.
Im 2. Teil des Konzert war die 4. Sinfonie von Gustave Mahler zu hören und mit der wunderbaren Marlis Petersen wurde aus einem Abonnementskonzert wie 2021 erneut ein Galakonzert. Viermal wurde sie, Weltstar auf den großen Opern- und Konzertbühnen, zur Sängerin des Jahres gewählt, zuletzt 2020 und im selben Jahr auch mi dem Opus Klassik ausgezeichnet.
 
Mahlers 4. Sinfonie, beinhaltet im letzten Satz das Orchesterlied „Das himmlische Leben“ aus des „Des Knaben Wunderhorn“ - „mit kindlich heiterem Ausdruck durchaus ohne Ironie“ zu singen. Dabei geht es weniger um „himmlische Freuden“ als im 4. Satz um ein jenseitiges Schlaraffenland. Der 1. Satz beginnt kindlich mit Schlag auf die Orchesterschelle (wie sie auch in der Kindersinfonie von Leopold Mozart benutzt wird). Bald nach dem markanten Eingangsmotiv (repetitive Holzbläser) taucht das Kinderlied „Es tanzt ein Bi-ba-butzemann“ im Orchester auf, welches ohne Posaunen und Baßtuba kleiner besetzt ist als die anderen Sinfonien Mahlers. Die Musik atmet und lebt von agogischen Temposchwankungen, bei denen das Orchester der souveränen Stabführung des GMD aufmerksam und sensibel folgte. Kurze Glissandi der Streicher beleben den stets durchsichtigen Klang bis plötzlich und unerwartet ein orchestraler Zusammenbruch im ff die Doppelbödigkeit des raffiniert kindlich-banalen, musikalischen Geschehens unterbricht. Beglückend und makellos dringt endlich das samten weiche Horn aus der Tiefe des Orchesters heraus. Im 2. Satz klingt durch die um einen Ton höhere Stimmung die Solovioline merkwürdig grell, der „Freund Hein“ (Mahler) spielt so auf. Einer der schönsten Sätze Gustav Mahlers überhaupt ist der „ruhevolle“ 3. Variationssatz, den die tiefen Streicher über Kontrabaß-Pizzicato andachtsvoll beginnen. Wenn dann das Solocello beginnt zu singen, die Violinen einfallen, atmet die Seele durch und bildet Gänsehaut. Dann kommt im letzten Satz Marlies Petersen dazu, mit der wirklich überirdische musikalische Freuden genossen wurden. Ihr klangvoller, weicher, gefühlstiefer, makelloser Sopran, elegant bis in höchsten Höhen, sonor in den tieferen Lagen, führte zusammen mit dem großartigen Orchester zu einer Sternstunde des Orchesterlieds. Für stehende Ovationen und Bravi des begeisterten Publikums bedankte man sich mit der „Zueignung“ von Richard Strauß, der damit das Gedicht „Habe Dank“ von Hermann Gilm vertont hat. Ein wahrhaft würdiger Saisonausklang. Das Konzert wurde mitgeschnitten und wird am 11. 08.2023 von Deutschlandfunk Kultur gesendet werden.
 

Marlis Peterson, Patrick Hahn - Foto © Johannes Vesper

Übrigens: Daß diese Sinfonie (Uraufführung November 1901) überhaupt fertiggestellt wurde, ist einem Chirurgen zu verdanken, der notfallmäßig im Februar 1901 beim Komponisten eine lebensgefährliche Hämorrhoidalblutung behandelt und operiert hat. „Eine halbe Stunde später wäre es zu spät gewesen“ ist vom Operateur übermittelt.
 
So., 4. Juni, 11:00–13:30 Uhr und Montag de, 05.Juni 2023 20 Uhr im Großen Saale der Historischen Stadthalle Wuppertal. Programm:
Anton Webern: Passacaglia für Orchester op. 1,
Alban Berg: Sieben frühe Lieder,
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 4 G-Dur. Marlis Petersen ist ein Weltstar auf der Opern- und Konzertbühne.