Flöten wie das Rotkehlchen …

Peter Krauss – „Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?“

von Frank Becker

Flöten wie das Rotkehlchen …
 
… oder schimpfen wie ein Rohrspatz
 
Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,
die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang …
(William Shakespeare, Romeo und Julia,
3. Aufzug, 5. Szene)
 
Gibt es Schöneres für die Seele, als durch einen alten Laubwald zu spazieren oder über eine Heidelandschaft zu wandern und den mannigfaltigen Klängen der Natur zu lauschen? Es sind die Vögel mit ihren bezaubernden und charaktervollen Stimmen, die den Zauber ausmachen, indem sie einen solchen Gang begleiten und den Moment vergolden. Haben Sie einmal im Frühling oder Frühsommer auf einer ländlichen Wiese gelegen, in den blauen Himmel geschaut und dabei das berückende Lied einer sich in die Höhe schwingenden Feldlerche gehört? Auch der Frühaufsteher in der Stadt und der vom Tag gestresste, der am Abend auf dem Balkon seinen Tee nimmt, wird durch Morgenlied und Abendparole aus Vogelkehlen froh gestimmt.
Diese Stimmen werden in unseren von der städtischen Überbauung, Bodenversiegelung und Lichtverschmutzung sowie von überdüngten und chemisch gereinigten landwirtschaftlichen Monokulturen stetig weniger. Der Mensch verdrängt die Natur offenen Auges und vorsätzlich trotz der wissenschaftlich belegten Erkenntnis, daß er ohne sie zugrunde geht. Sterben Vögel, Insekten und Kleinstlebewesen durch unsere rücksichtslosen Eingriffe, sterben auch wir – nur mit dem entscheidenden Unterschied, daß sich die Natur durch ihre elementare Kraft zu regenerieren weiß. Der Mensch ist dazu zu dumm, obwohl er Raumstationen bauen und Kriege vom Zaun brechen kann.
 
     Um zu verhindern, daß mit den Vögeln auch die Erinnerung an ihr Erscheinungsbild und ihre Melodien verschwindet, hat promovierte Germanist, Sinologe und Musiker – wer wäre prädestinierter? – Peter Krauss, nicht zu verwechseln mit dem Pop-Idol Peter Kraus, in einem hinreißenden Nachschlagewerk die Lautäußerungen der Vögel als Bestandsaufnahme eins aussterbenden Wortschatzes zusammengetragen: „Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?“.
Von A wie Adler bis Z wie Zwergschnepfe hat Krauss in seinem Buch 83 Vogelarten mit genauen onomatopoetischen Beschreibungen ihrer Gesänge/Lautäußerungen mit allen Varianten und wunderschönen Farbillustrationen aus historischen ornithologischen Werken aufgeführt, gelegentlich sogar mit Notenbeispielen von Cornell Schmitt. Zu den deutschen Namen stellt er die lateinischen Artbezeichnungen und originellerweise auch deren chinesische Ideogramme.

     Wir erfahren, daß z.B. die Bekassine u.a. knebbert, hudert oder burrt, der Fliegenschnäpper schnipst und schlürft, der Girlitz kratzt und schwadert, der Kiebitz jodelt und wuchtelt, die Rohrdommel blökt, grunzt und hupt, das Rotkehlchen flötet und schnurrt oder die Schnepfe murxt und quorrt. Nur ein paar Beispiele aus dem reichhaltigen Repertoire der Vogelwelt und Krauss´ Aufzeichnungen. Daß Lerche, Amsel und Nachtigall zu den größten gefiederten Sängern gehören, ist uns bewußt. Krauss unterstreicht das eindrücklich.
Peter Krauss greift dabei auf volkstümliche Überlieferungen, klassische und moderne Fachbücher und gerne auch auf Beispiele aus der Literatur (Keyserling, Droste, Schiller, Heine, Uhland Mörike) und vielfach Beschreibungen aus den Kinder- und Hausmärchen und dem Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm zurück. Der geneigte Leser, die charmante Leserin  mag nun selbst entscheiden, ob der Vogel singt, schlägt oder ruft.
 

Ein ebenso erbauliches wie kurzweiliges Fachbuch für jedermann, das ich Musenblätter-Lesern besonders gerne ans Herz lege. So viel Sorgfalt und Sachkenntnis mit Witz gehört mit unserem Prädikat, dem Musenkuß belohnt.

„Was vor ein schoͤnes Lied die Wachtel hat geschlagen /
Die Nachtigall gethoͤnt / die Lerche tirelirt.“
Christoph Köler, Ehrerbitliche Einladung zu einer Abgebildeten
Teutsch-Poetischen Mayen-Lust 64, 3 (Breslau 1642)
 
Peter Krauss – „Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?“
Handwörterbuch der Vogellaute (von Adler bis Zwergschnepfe)
Reihe Naturkunden No. 33, herausgegeben von Judith Schalansky
© 2023 Matthes & Seitz Berlin, 224 Seiten, flexibles Ganzleinen, Fadenheftung, Lesebändchen, mit 91 ganzseitigen durchgehend farbigen Abbildungen, Notenbeispiele, Indices von deutschen Verben und Vogelnamen, Bibliographie – ISBN: 978-3-95757-393-3
25,- €
 
Weitere Informationen: www.matthes-seitz-berlin.de  -  www.naturkunden.de