Der Blick auf den menschlichen Körper - Michelangelo und die Folgen

Eine Ausstellung der Albertina, Wien

Red.

Michelangelo Buonarroti, Männlicher Rückenakt, um 1504, schwarze Kreide, weiß gehöht, Albertina, Wien

Der Blick auf den menschlichen Körper - Michelangelo und die Folgen
 
Eine Ausstellung der Albertina, Wien
15. September 2023 — 14. Januar 2024
 
Die Albertina präsentiert in ihrer Herbstausstellung Entstehung, Macht, Bedeutung und Verfall eines Kanons, der von Michelangelo mit seinen Akten zu Beginn des 16. Jahrhunderts nachhaltig bestimmt wurde.
 
Michelangelo, der Hauptmeister der Renaissance, steht im Zentrum dieser Ausstellung, denn er repräsentiert wie kein anderer das neue Körperverständnis eines dynamischen Menschen. Kein Künstler seiner Zeit konnte sich der prägenden Wirkung seiner Werke entziehen. Die Künstler pilgerten in Scharen zu dem öffentlich ausgestellten Karton für die Schlacht von Cascina, um danach zu zeichnen. Die expressiv-gedehnten Figuren der Sixtinischen Kapelle dienten häufig als Ausgangspunkt für dekorative Übersteigerungen manieristischer Künstler.
Die Wiederentdeckung des antiken römisch-griechischen Körperideals zu Michelangelos Lebzeiten führte zu revolutionären Fortschritten in der Darstellung der menschlichen Anatomie. Dabei wurden neue Maßstäbe in Bezug auf Proportion, Kontur, Volumen, Verkürzung und Bewegung gesetzt.
 

Antonio Pisano, gen. Pisanello, Personifikation der Luxuria, um 1426, Feder in Braun auf rötlich grundiertem Papier, Albertina, Wien

Die Ausstellung präsentiert die bedeutendsten und schönsten Arbeiten der künstlerischen Darstellung des menschlichen Körpers von der Frührenaissance bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, die im Besitz der Albertina sind. Die präsentierten Kunstwerke zeigen eindrucksvoll die Entstehung des Kanons, seine fortschreitende Entwicklung und letztendlich auch seinen Verfall im Laufe der Zeit.
Arbeiten Michelangelos, die im Zusammenhang mit dem unausgeführten Fresco „Die Schlacht von Cascina“ entstanden sind, die berühmte Darstellung „Sitzender Jünglingsakt“ oder Zeichnungen des Deckenfrescos der Sixtinischen Kapelle sind zu sehen. Raffael und Dürer werden mit ihrer Auffassung des menschlichen Körpers ebenfalls präsentiert. Der Italiener Raffael verfolgt ähnlich wie Michelangelo das Ideal eines athletischen Körpers. Der deutsche Künstler Albrecht Dürer hatte hingegen ein anderes Verständnis des menschlichen Aktes. In seinen Werken stehen Proportionsstudien und akribische Messungen im Fokus, um den menschlichen Körper darzustellen. Dürer entwickelt sein eigenes Regelwerk, das er verfolgt.
 

Albrecht Dürer, Adam and Eva, 1504, Kupferstich, Albertina, Wien

Rembrandt widerspricht dem von Michelangelo vorgegebenen Ideal und widmet sich sowohl dem männlichen als auch dem weiblichen Akt. Sein unverfälschter Blick zeigt den menschlichen Körper nicht geschönt, sondern auf naturalistische Weise, mit Volumen und Kurven. Somit setzt er sich dem Ideal des Renaissance-Meisters Michelangelo entgegen.
Die Ausstellung präsentiert Zeichnungen, Druckgrafiken und Skulpturen, die das Thema des idealen Körpers im Laufe der Jahrhunderte erörtern. Die Bronze des „Herkules Farnese“ aus der Sammlung Liechtenstein ist eine besondere Ergänzung für die Ausstellung, da diese Skulptur einen ganzen Typus eines idealen Körpers prägt, der sich unabhängig von Michelangelo entwickelte und einen extrem überzeichneten, muskulösen Körper in den Mittelpunkt stellt. Diese antike Vorlage des Herkules wurde von unzähligen Künstlern kopiert und diente über Jahrhunderte hinweg als Studienobjekt für aufstrebende Künstler.
 
Mit der Etablierung des Christentums veränderte sich die antike Welt, insbesondere in Bezug auf die Darstellung des weiblichen Körpers in der Kunst. Die Erwartung des nahenden Jüngsten Gerichts ließ naturkundliches Wissen als unwichtig erscheinen. Die monotheistische Struktur des Glaubens verdrängte die Götter und Göttinnen des griechisch-römischen Pantheons, einschließlich der Verehrung des weiblichen Ideals der Venus. Im Laufe der Zeit wurden Frauen immer unsichtbarer und schließlich zur „Rückseite des Mondes“. Erst in der Renaissance begannen Künstler, den weiblichen Körper künstlerisch darzustellen, und der nackte Frauenkörper kehrte in den visuellen Medien zurück. Allerdings waren diese Darstellungen oft von Stereotypen geprägt und deuten nicht auf eine wirkliche Emanzipation hin.
 

Rembrandt Harmensz van Rijn, Nackte Frau auf einem Erdhügel sitzend, um 1631, 
Radierung und Kupferstich, Albertina, Wien

Rembrandt stellt in seinen Werken seine Frau in einer natürlichen Haltung dar und präsentiert einen ungeschönten Körper, der vom Leben gezeichnet ist. Man kann sogar die Spuren des Strumpfbandes erkennen, das noch vor wenigen Minuten an ihrem bekleideten Körper war. Boucher, der ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist, bringt den weiblichen Körper mit mehr Erotik ins Spiel, indem seine liegenden Akte den Betrachter direkt auffordernd anschauen.
 
Michelangelo selbst zeichnete kaum nackte Frauen, sondern verlieh männlichen Körpern eine feminine Anmutung. Männer stellten Männer dar, doch war es auch der Mann, der den Kanon nicht nur für den männlichen, sondern auch für den weiblichen Akt definierte. Die Frage, wie es gewesen wäre, wenn Frauen Frauen dargestellt und den Kanon definiert oder gar sich selbst nackt dargestellt hätten, bleibt ein faszinierendes Gedankenspiel.


Gustav Klimt, Studie für die linke der „Drei Gorgonen“ im Beethovenfries,
1901, Schwarze Kreide, Albertina, Wien

Der Verfall des Kanons wird deutlich mit dem Blick auf das Ende des 19. und den Beginn des 20. Jahrhunderts. Die großartigen Aktzeichnungen von Klimt zeigen den secessionistischen Schönheitskult in der Kurvilinearität der Frau. Im Gegensatz dazu ist Schiele mit seinem expressionistischen Strich zu sehen, auch er widerspricht vehement dem von Michelangelo geprägten Ideal. Die Hässlichkeit eines ausgehungerten Akts künden von einem völlig neuen Verständnis des Körpers. Schieles Kunst zeigt, daß der Mensch kein Ideal ist, sondern das Spiegelbild einer zerrissenen und dem Untergang geweihten Gesellschaft.
 
Michelangelo und die Folgen
15. September 2023 bis 14. Jänner 2024
Albertina
Albertinaplatz 1
A - 1010 Wien

Weitere Informationen: http://www.albertina.at/