Held und Welt

161. Saison des Sinfonieorchesters Wuppertal, 5. Sinfoniekonzert

von Johannes Vesper

Sinfonieorchester Wuppertal, am Pult Carl St. Clair - Foto © Johannes Vesper

Held und Welt
 
161. Saison des Sinfonieorchesters Wuppertal, 5. Sinfoniekonzert
 
Das 5. Sinfoniekonzert der 161. Saison leitete der in Wuppertal nicht unbekannte amerikanische Dirigent Carl St Clair. Im November 2021 war unter seiner Stabführung hier Mahlers 9. zu hören. Der ehemalige Chefdirigent der Komischen Oper Berlin und GMD in Weimar kommt regelmäßig nach Deutschland und Europa. Aktuell leitet er das Pacific Symphony Orchestra in Kalifornien und das National Symphony Orchestra von Costa Rica. In Deutschland dirigierte er sämtliche Rundfunkorchester, dirigierte in New York, Los Angeles und San Francisco. Sein Debüt in Wuppertal gab er 1997. Anläßlich des heutigen Konzertes hier wurde er von Kulturdezernent Nocke und von Georg Stucke (Orchestervorstand) zum Ehrengastdirigenten des Sinfonieorchesters Wuppertal ernannt und fühlt sich, so sagte er, ein klein wenig tatsächlich schon als Wuppertaler.
 
Das Konzert wurde mit „Blue Cathedral“ von Jennifer Higdon (geb 1962 in Brooklyn) eröffnet. Sie wurde für ihre Kompositionen in den USA hoch geehrt, erhielt Grammy Awards, für ihr Violinkonzert, den Pulitzer- Preis für Musik (Einspielung mit Hilary Hahn) und wurde jüngst in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. Mit dem Stück des heutigen Abends erinnert sie an ihren zwei Jahre vor der Uraufführung im Jahre 2000 verstorbenen Bruder, in dem sie musikalisch ein spirituelles Zwiegespräch (Flöte und Klarinette, ihr und sein Instrument) mit ihm hält. Beim Komponieren habe sie sich vorgestellt „durch eine gläserne Kathedrale in den blauen Himmel“ zu reisen, heißt es im Programm. Na ja, das stimmungsvolle Werk dauert 13 Minuten und versetzte die Zuhörer auch ohne Kenntnis der Hintergründe immerhin aus der Banalität des Wochenanfangs in Konzertstimmung. Erstaunlich, daß dieses Werk mit 750 Aufführungen eines der weltweit am häufigsten aufgeführten zeitgenössischen Orchesterwerke ist. Nach breiten Klängen ohne sichere musikalische Entwicklungen, geht nach gelegentlich sich steigernden Disharmonien, eindrucksvollen Fortissimi und nach einem letzten Zwiegespräch (sehr schön gespielt von Catarina Laske-Trier und Georgios Karagkounis) mit versöhnlichen Klängen der tiefen Streicher und Glasharmonik unter Posaunistenfingern das 20. Jahrhundert musikalisch endlich zu Ende (Komposition aus dem Jahr 1999). Das Publikum zeigte sich beeindruckt. 
 

Alexandra Dariescu - Foto © Yannick Dietrich

Florence Price (1887-1953) hatte es als schwarze Komponistin in den USA schwer. Dabei ist sie mit ihrer Mischung aus schwarzer Musik des Südens und weißer europäisch beeinflußter Musik des Nordens eine wirklich originär-amerikanisch Komponistin ohne direkten Bezug zu George Gershwin, den Boston Six oder zu amerikanischer Spätromantik der zweiten New England School, die sich in Analogie zur zweiten Wiener Schule so genannt, mit der sie aber nichts zu tun gehabt hat. Bei relativ kleiner Orchesterbesetzung leitet das Klavier mit gestisch großer Kadenz den ersten Satz ein, eher an Tschaikowski als an New Orleans erinnernd. Mit seinem Temperament hat St. Clair zum Schlußakkord die Pianistin sozusagen vom Klavierhocker gehauen. Im langsamen 2. Satz kommen ein wenig Blues und Ragtime auf. Oboe (Andreas Heimann) und Klavier dominieren ausdrucksstark den Satz. Übergangslos geht es weiter zum munteren 3. Satz, der einfach aber immerhin musikantisch flott, folkloristisch, wie gespielt von einer Straßenkapelle in New Orleans, daherkam. Das Publikum ließ sich wie der Dirigent von der einfachen wie schwungvollen Musik mitreißen, jener immer wieder auf dem aufgeklappten Flügeldeckel Erholung suchend. Alexandra Dariescu spielt mit bekannten Orchestern (u.a Royal Philharmonic Orchestra, Orchestre National den France, Oslo Philharmonic) und wurde jetzt als Professorin für Klavier an das Royal Northern College of Music in Manchester berufen. Mit dem Klavierkonzert von Florence Price war sie nicht ernsthaft gefordert, bezauberte durch Makellosigkeit, Musikalität und Spielfreude das Publikum, welches drei Zugaben erklatschte.
 
Nach der Pause freute sich das leider nicht sehr zahlreich erschienene Publikum dann auf das Hauptwerk des Abends, die Tondichtung „Ein Heldenleben“ des 1899 43jährigen Richard Strauß (1864-1949). Opulent orchestriert (acht Hörner, zwei Tuben; 5 Trompeten, zahlreiche Holzbläser) beschäftigte sich der Komponist nach „Zarathustra“ und „Don Quixote“ hier selbstbewußt mit sich selbst, wobei es ihm um die „musikalischen Entwicklung meiner Empfindungen“ (an Romain Rolland), nicht um eine platte Schilderung seines Lebens ging. „Frei aber einsam“ hat sich Johannes Brahms autobiographisch geäußert. Auf Richard Strauß trifft eher groß, prächtig und schwungvoll zu, jedenfalls zu Beginn. Ironisch gackern später mit der Fülle aller verfügbarer Holzbläser die Musikkritiker los, von denen sich in der Presse aber nicht alle dauernd „sehr scharf und spitzig, schnarrend, zischend" gebärden, wie Richard dazu in der Partitur vermerkt hatte. Unter dem sehr präzisen und in der Musik lebenden Dirigat von St. Clair begeisterten alle Facetten dieser an Klangfarben wie thematisch ungeheuer reichen Musik, auch wenn die Trompeten zwischendurch die Bühne verlassen und von außen aus der Ferne zu hören sind. Jedes Detail dieser hochkomplexen Musik wurde dem aufmerksamen Orchester vom souverän auswendig dirigierenden Ehrengast exakt wie gestisch elegant vermittelt, der vom Genius loci inspiriert schien, hatte doch Richard Strauß selbst als Dirigent den Großen Saal der Historischen Stadthalle im Jahre 1900, also kurz nach der Uraufführung seines « Heldenlebens », eröffnet !
 
Des Helden Gefährtin“ ist der Abschnitt übertitelt, in dem sich die von Nikolai Mintchev beseelte Solovioline bzw. Ihr Klang im großen Saal ausbreitete. „…sehr weiblich, ein wenig pervers, ein wenig kokett“…. klangen diese Passagen auch am Ende des 19. Jahrhunderts und wenn es im Laufe der Tondichtung eine Schlacht gibt, dann vermutlich mit den Kritikern, nicht mit dieser Pauline. Bekannterweise zitiert Richard Strauß im Abschnitt seines „Friedenswerkes“ 30mal sich selbst aus früheren Werken. Muß man das alles wissen, um das Werk zu verstehen? Muß man es überhaupt verstehen? Es reicht, wenn die Musik uns ergreift. Das tat sie mit glanzvollem Blech (zwei Tuben!), seidigen Streichern und virtuosen Holzbläsern. Der Hörer wird allerdings kaum ein Thema erkennen. Satirisch ironisch wie klanggewaltig ging das Werk zu Ende, vierzigminütiger orchestraler Hochgenuß. Das Publikum bejubelt die grandiose Aufführung mit Bravi und Pfiffen. Zuletzt bahnte sich der Dirigent seinen Weg durch das Orchester zu Christine Altmann, umarmte sie, bat sie an sein Pult. Die Verdienste der Cellistin wurden von ihren Kollegen gewürdigt und sie wurde nach 30 Jahren in den Ruhestand entlassen. Gerne erinnern wir uns an die Cello-Delikatessen.
 

Foto © Johnnes Vesper

Sonntag, den 21.01. 2024, 11:00Uhr, Montag, den 22.01.2024, 20:00 Uhr. 
Programm und Besetzung: Alexandria Dariescu, Klavier, Sinfonieorchester Wuppertal , Carl St Clair, Dirigent.
Jennifer Higdon: „Blue Cathedral“, Florence Price: Piano Concerto in One Movement (Andantino – Adagio cantabile – Andantino, Allegretto), Richard Strauss: Ein Heldenleben, Tondichtung für großes Orchester op. 40.