Die Kunst, eine Zigarre anzubieten
Jede Kunst hat ihre Meister und ihre Stümper, ihre Virtuosen und ihre Dilettanten. Es ist eine traurige Tatsache, daß' auf jeden Meister ein Heer von Stümpern, auf jeden, Virtuosen ein Dutzend Dilettanten kommt. Daß uns die Künste noch nicht längst durch die Unberufenen, die in ihnen herumpfuschen, verleidet sind, ist einer der vielen Beweise für die Kraft, die den Künsten innewohnt.
Wenn wir uns vieles denken können, was wir nur in einer idealen Welt finden würden, das eine können wir uns doch nicht denken: die Kunst, nur von Künstlern geübt. Denn wie ist es mancherorts in manchen Ländern? Da gibt es keine Kunstausstellung, die nur Werken wahrer Künstler einen Platz einräumt; da gibt es auch „Salons“ mit unendlich langen Wänden, die mit gefüllten Goldrahmen bedeckt sind; ja, der Ausstellungskatalog wäre dann kein dickleibiger Foliant, sondern ein einzelnes, mäßig großes Quartblättchen. Die Industrie, die sich mit der Herstellung von Malergesellschaften befaßt, hat allerdings immensen Nutzen von dem Unfug, der von den Stümpern getrieben wird, denn wenn sie nicht mehr malten, welch ein Krach zerstörte. die Leinewand-, Farben- und Pinselfabriken, wo blieben die Millionen Fläschchen und Tuben, die von den Fabriken für die Kunstfreischärler mit feiner Flüssigkeit und kostbarem Farbenteig angefüllt angeboten werden?!
Fast noch heftigere Hausfriedensbrüche begehen in der Kunst die Klavier- und Gesangs-Strolche beiderlei Geschlechts. Man denkt mit Schaudern an den musikalischen Radau, den die Tastenübeltäter und Gesangsanstifter zu vollführen verstehen, ohne von der Polizei auch nur ersucht zu werden, sich etwas zu mäßigen. Das Sprichwort „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“ scheint im Hinblick auf diese Mißkünstler erdacht zu sein, und man könnte das Wort auch auf den der Nacht folgenden Tag anwenden, wenn man bedenkt, daß diese Ohrenhenker auch am hellen Tag riskieren, in den Klaviertasten herumzumanschen und ihre Lieder in die friedliche Nachbarschaft hineinzuschreien.
So wird uns die Kunst von Nichtskönnern versalzen und angebrannt, und das Verderben des geistigen Genusses durch viele Kunstköche herrscht nicht nur auf einigen Kunstgebieten. Stümper gibt es auch in denjenigen Künsten, die mehr Sport und Passion sind. Es sind das Künste, deren Pflege zwar nicht anerkannt wird, die aber denjenigen, der sie ausübt, zu einem Künstler stempelt, der sich das Leben und seinen Nebenmenschen den Verkehr angenehm gestaltet. Zu diesen Künsten gehört die, eine Zigarre anzubieten.
Es läßt sich darüber streiten, ob es richtig ist, die Zigarre eines anderen zu rauchen. In Gesellschaft raucht man natürlich die Zigarre des Wirtes, wie man dessen Wein trinkt, wenn es auch bei dieser Gelegenheit selbstverständlich ist, daß man nie die Zigarre erhält, an die man sich gewöhnt hat. Man bekommt entweder eine bessere oder schlechtere. Aber das ist nicht zu vermeiden: Der Wirt kann es sich nicht gefallen lassen, daß seine Gäste ihre eigene Sorte mitbringen.
Es gibt da so erstaunliche wie peinliche Fragen. „Wollen Sie mal etwas ganz Feines rauchen?“ fragt der Geber, während er nach seiner Zigarrentasche unterwegs ist. Das ganz Feine ist dann gewöhnlich eine Wald- oder Wiesenzigarre. „Es ist der einzige Luxus, den ich treibe“, setzt er hinzu, aber seine Zigarre hat dann nur noch etwas mit dem Worte „Luxus“ zu tun. Oder es heißt: „Sie haben nie etwas Besseres geraucht.“ Auch: „Schneiden Sie sie sorgfältig ab und zünden Sie sie sorgfältig an.“ Auf diese Art wird dem unglücklichen Nehmer die Gabe verleidet, indem man ihm andeutet, daß er ihrer nicht wert sei und sie nicht im entferntesten zu schätzen wisse.
Eine andere Phrase bei der Überreichung lautet: „Aber rauchen Sie sie mit Verstand!“ Das soll heißen: mit Verständnis für Herkunft, Güte und äußerliche elegante Erscheinung der Zigarre. Es liegen in diesem Hinweis ein Zweifeln am Verstand des Beschenkten und die Zumutung, eine Zigarre zu rauchen, wie man einen Band Schopenhauer zu lesen hätte: mit Aufbietung aller geistigen Potenz.
In der Kunst, eine Zigarre anzubieten, ist auch derjenige völlig Laie, der die Zigarre in der Seitentasche seines Rocks oder der Weste transportiert. Noch schlimmer ist es, wenn sie mit der Spitze nach oben eingesteckt ist, Das wirkt so, als wenn man jemand ein Stück Braten mit den Fingern auf den Teller legt und ihm dann auch noch „Guten Appetit!“ wünscht. Dieser Geber findet nichts dabei, eine Zigarre da anzufassen, wo sie vom Empfänger zwischen die Lippen gesteckt werden soll.
Ebenfalls unleidlich ist der Wirt, der seine Zigarre mit einer Reklame ankündigt, lange bevor die feierliche Überreichung stattfindet: „Meine Herren, nachher gibt's eine Prachtzigarre!“ Gewöhnlich ist es auch eine Zigarre, die „sich gewaschen hat“, eine Havanna, „die nicht von schlechten Eltern ist“, ein Ding, „jeder Paff zehn Pfennig“. Die Zigarre hält selten, was der Geber versprochen hat, es geht ihr wie vielem, dem Reklame trommelwirbelnd voraneilt, die Zigarre ist häufig von den schlechtesten Eltern, der Vater pflegt einer jener nichtsnutzigen Tabakgauner zu sein, die Kohlblätter so heizen, daß sie wie ehrliches Kuba-Kraut aussehen.
Auch der stumme Reklamemacher steht der Kunst, eine Zigarre anzubieten, absolut fern.
Während der Gast die Zigarre raucht, tritt er mit fragendem Lächeln, das Haupt auf und ab wiegend, vor den anderen hin, um ihm irgendeinen Ausruf unbeschränktesten Lobes zu entlocken. Dabei wedelt er noch mit der Hand etwas von der Dampfwolke an seine Nase. Wie alle Kunst, so hat auch unsere Kunst die ganz Unmöglichen aufzuweisen, die völlig unfähig sind, auch nur die Anfangsgründe zu erfassen. So einer ist der Wirt, der für seine Gäste je nach der Stellung, die sie im öffentlichen Leben bekleiden, feine und schlechte Zigarren hat. Auch das gibt´s! Nach dem Essen macht er die Runde um den Tisch, in jeder Hand trägt er ein Kistchen. In das eine läßt er die Bessergestellten, in die andere den kleinen Kaufmann, den Hauslehrer usw. greifen. In jener Kiste liegen die Rauchbaren, in der anderen diejenigen, die der Mensch nicht zu schauen und vor allem nicht zu rauchen begehren soll. Die paffende Gesellschaft ist also in zwei Hälften geteilt, man kann sagen: in zwei Zigarrenkisten. Für den Bevorzugten noch einen Rat: Er versäume ja nicht, die bunte Leibbinde der Zigarre sorgfältig zu vernichten. Es liegt der Gedanke nahe, daß der Wirt diese trügerischen Binden sammelt und sie für sein nächstes Borgiagastmahl um übelberüchtigte Zigarren legt, damit diese zweifelhaften Geschenke ein würdiges Aussehen bekommen.
Die Kunst, eine Zigarre anzubieten, ist einfach - wie jede Kunst, die dem Natürlichen nahezukommen trachtet. Der Meister wird na, was? Er wird einfach seine besten Zigarren geben und sich freuen, daß sie den Rauchern Freude machen.
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