3 : 2 für die Ewigkeit

Ein Heldenepos in elf Gesängen - Achter Gesang

von Michael Zeller
3 : 2  für die Ewigkeit
Ein  Heldenepos in elf Gesängen
 
Von Michael Zeller
 
Die Wahrheit is auf’n Platz
und der Mythos sitzt im Kopf
Adi Preißler/M.Z.
 
 
 
Achter Gesang
 
Wer kennt die Pleiten, zählt die Namen
die schon ins Gras gebissen haben
der alpengrünen Schweizer Matten?
England draußen, dito Frankreich
Italien ebenso wie Spanien
Selbst die Jongleure aus Brasilien
schon auf dem Weg in ihre Heimat
Die Deutschen aber, ungesetzt
von der Leitung des Turniers
im Halbfinale stehen sie
gegen – Servus! – Österreich
den alten herzlichen Rivalen
Fast schon ein Familientreffen
mit gut gepflegten Bissigkeiten
Vergeßt die Nibelungentreue!
 
Herberger kennt die Wiener blind
ihre Stärken, ihre Schwächen
Wenn sie erst mal ins Scheiberln kommt
diese eingespielte Truppe
dann geht’s im Walzer linksherum
ohne Schmäh, direkt ins Endspiel
und die Deutschen stehen daneben
mit ihrem biederen Blasorchester
„Keiner weicht von seinem Mann
selbst wenn der einen trinken geht“
(Einspänner oder Großen Braunen?)
Konsequentes Mann-auf-Mann
gilt in Wiener Kreisen unfein
und trübt ihre Spiellust ein
 
Doch heute soll’s dabei nicht bleiben
Herbergers Team hat sich gefunden
den Mut zum eignen Spiel entdeckt
im Verlaufe des Turniers
Wer sich hoch geschuftet hat
in die Bel Etage des Fußballs
darf an seine Klasse glauben
 
Gott sei Dank ist Morlock fit
Masseur Deuser hat’s geschafft
seinen Knöchel hinzukriegen
und der Badestrand muß warten
Morlock füttert vorn die Spitzen
Schäfer, Ottmar, Helmut Rahn
daß den Wienern schwindlig wird
sie ganz aufs Kaffeehaus vergessen
Und aufgedreht spielt heut Fritz Walter
alle Hemmungen passé
Beflügelt vom Erfolg der Mannschaft
führt er im Mittelfeld Regie
wie noch nie bei dem Turnier
Er kommandiert und winkt und schreit
daß ihn der Schiri bremsen muß
 
Wann hat man den deutschen Sturm
zuletzt derart wirbeln sehen?
Vielleicht in Breslau, Siebenunddreißig?
Die Tore fallen reihenweise
eines schöner als das andere
 
Schaut euch nur das Zwei/Null an
direkt schon der Halbzeitpause
mit Kunst und Köpfchen hingezaubert
Eckball von links, mit Rechts getreten
den Effet schafft nur der Fritz
Dreißig-, vierzigmal pro Training
hat er diesen Schlag geübt
bis er auf den Punkt pariert
Am kurzen Pfosten Rahn und Ottmar
gedeckt von ihren Gegenspielern
doch Walters Ecke – sie fliegt weit
über alle Wiener weg
auf den langen Posten zu
wo sich Maxl Morlock hochschraubt
keiner hatte auf ihn Acht
Zwei zu Null. Das Endspiel winkt
 
Doch das reicht noch lange nicht
Heut ist ein Wollen in der Mannschaft
das nicht nur aufs Ergebnis schielt
Foul an Schäfer. Klar. Ein Strafstoß
Fritz Walter soll die Elfer schießen
auch wenn der Zauderer sich sträubte
Herberger hat sich durchgesetzt
„Fritz, dei Eck!“ zischt Bruder Ottmar
„Ja, mei Eck!“ Die Ruhe selbst
streichelt er den Ball noch mal
Nur Stopper Liebrich traut sich nicht
dreht sich weg und mag nicht hinschauen
„Isch weeß net, der geht net noi“
Erst als es brüllt im Stadion
kapiert er: Drei zu Eins für Deutschland
 
Und wieder gibt es einen Eckball
auf Fritz Walters linker Seite
Die Wiener sind gewarnt von eben
sichern ihren langen Pfosten
Doch diesmal schlägt der Käpt’n kurz
Freie Bahn für Ottmar Walter
rammt das Leder in die Maschen
Immer noch sind sie nicht satt
fortgerissen von der Spiellust
und denken nicht ans nächste Spiel
- und was für eines! Unvorstellbar!
 
Ein halbes Dutzend Tore fallen
gegen Erbfeind Österreich
Ein satter Sieg. Ein Fußballfest
Man muß sich schon die Augen reiben
Daran ist man nicht gewöhnt
wenn eine deutsche Mannschaft spielt
Kampfkraft, Einsatz bis zum Letzten
der Wille, niemals aufzustecken:
So kennt man sie und liebt sie wenig
von Brasilien bis nach Wien
Heut lehren sie die Welt das Staunen
daß sie auch Fußball spielen können
wenn die Götter Gnade gönnen.
 
 
 
 © Michael Zeller

(Erstveröffentlichung in den Musenblättern)