Operette sich wer kann
Erst ein Vorspiel in Minuten,
die das Herz in Schmalz zersetzen,
wie die Bläser wieder tuten,
wie die Geigen sich verbluten
und dann reißt der Vorhangfetzen.
Auf der Bühne spielen Grafen,
die gar keine Grafen sind,
Kuno will mit Olga schlafen,
doch es leiden nicht die andern Grafen,
denn die Liebe macht bekanntlich ja oft furchtbar blind.
Plötzlich fängt dann alles an zu tanzen
und ein Chor erscheint im Hintergrund,
alles bricht für Olga Lanzen
Herzen laufen über und man
singt aus vollem Mund:
Refrain:
Wien bleibt Wien
und Kitsch bleibt Kitsch
von der Wilja oder Wolga bis zum Zarewitsch
mal Herz und mal Schmerz,
mal Schmerz und mal Herz,
wie einst im März.
Und in der Pause ißt man sein Butterbrot
und spricht über Liebe, Schicksal und Tod,
und Frau Müller sagt: Warum der wohl die,
und Herr Müller fragt: Ob er oder sie,
und Herr Doktor sagt: Die kriegen sich nie,
aber bitte brechen sie mir das Problem nicht übers Knie!
Denn:
Wien bleibt nun mal Wien
und Kitsch bleibt Kitsch
von der Wilja oder Wolga bis zum Zarewitsch
man schmachtet sich an,
und lechzt sich entzwei,
eine singende Säge war auch dabei
wie einst im Mai!
Und im 2. Akt da reist er dann ab
und er reist wohin: nach Venedig,
sie ist dann einsam und außerdem schlapp,
und im 3. Akt reist sie dann ab
und erfahrt: er war gar nicht ledig.
Dann gibt's Geschluchze mit Fensterkitt
bis sie mit Anstand verzichtet,
denn er ist von Adel und sie heißt nur Schmidt,
doch ein Kind marschiert schon im Geiste mit
wie sie errötend berichtet.
Das rührt ihn nun wieder zu allerlei
doch sie schluckt das alles herunter,
dann folgt die Arie: Ich bin so frei,
im Hintergrund ballt ein Ballett vorbei
und die Bühne wird immer bunter:
Refrain.
Hanns Dieter Hüsch
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte dankenswerterweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.
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