Gottlieb Konrad Pfeffel
Die Abenteuer einer Laus
Arma virumque cano, Trojae qui primus ab oris
Italiam fato profugus, Lavinaque venit Littora. Multum ille & terris jactatus & alto... Multa quoque & bello passus... VIRG.
Als ich mich gestern Abends zu Bette legte, fand ich unter einigen Büchern auf meinem Nachttische ein Stück des Sammlers; es war dasjenige darin die Erzählung einer Floh enthalten ist; ich las es, und nachdem ich darüber eingeschlafen war, kam es mir vor, daß das Blatt noch vor mir liege; aber anstatt einer Floh sah ich eine Laus darauf sitzen, welche mich ganz pathetisch allso anredete:
Mein Herr! diejenigen, welche sich durch tiefe Nachforschungen und arbeitsamen Fleiß in den Minen der Erkenntnis bereichert haben, sind auf die Anmerkung gefallen, daß alle irdische Wesen sterblich seien, und daß dieses Leben ein Stand der beständigen Gefahr und Unruhe seie; Ich bin hievon bisher durch die Erfahrung überzeuget worden; und doch erinnere ich mich, daß ich das Ungemach durch keine ungemeinen Abweichungen von der Tugend oder der Klugheit über mich gezogen habe.
Ich wurde auf dem Kopfe eines Jungen ausgehecket, der ungefähr acht Jahre alt war, in der berüchtigten Wassersuppgasse. Ich befand mich daselbst wie in einer volkreichen Stadt, und, weil wir eben nicht lange jung bleiben, sah ich mich bald vermählet, und in wenig Monaten die Mutter einer zahlreichen Familie. Dieses war der glücklichste Zeitpunkt meines Lebens. Ich hatte wenig von dem Kamme oder dem Schermesser zu förchten, und sah kein anderes Unglück vorher, als daß etwann unser Land allzustark möchte bevölkert, und wir, gleich den nordischen Barbaren, gezwungen werden, uns in andere Länder zu begeben. In einer unglücklichen Stunde aber geschah es, daß der Eigentümer unserer Ländereien mit einigen seiner Gefährten nach Schilgen ging; es hatte da ein flinker Taschenspieler seinen Tisch unter freien Himmel gestellet, und er setzte durch seine Verwandlungen die Zuschauer in Verwunderung; unser guter Junge hatte sich bis zu ihm gedränget, und der Künstler versprach, eine große Menge Goldes unter seinen Hut zu bringen; unvermerkt brachte er ein faules Ei darunter; er schlug mit der Hand darauf, und zeigte wie das trinkbare Gold auf allen Seiten herunterfloß, zum unaussprechlichen Vergnügen der Zuschauer, aber zur größten Beschämung des Jungen, und zur gänzlichen Zerrüttung unsers gemeinen Wesens.
Unmöglich lassen sich Worte finden, um die Verwirrung und das Herzeleid zu beschreiben, welche dieser Zufall plötzlich über uns zog: augenblicklich wurden wir in einem Sumpfe begraben, und es schauert mich, wenn ich von seinem unerträglichen Geruche reden soll. Die, welche der Strom mit sich gerissen hatte, fanden es unmöglich, wieder an ihren vorigen Wohnort zu kommen; und die wenigen, welche so glücklich waren, an den Ufern dieser Überschwemmung zu liegen, mußten alle ihre Kräfte anspannen, um sich an trockene Orter zu schleppen; aber vergeblich bemüheten sie sich, von den Banden los zu werden, die jeden Augenblick stärker wurden, je mehr der Stoff, aus dem sie bestunden, sich verhärtete; und er drohte ihnen, sie in kurzer Zeit aller Bewegung gänzlich zu berauben. Auch ich war unter dieser Zahl, und ich bebe itzt noch, wenn ich an meine damalige Gefahr denke. Unterdessen besann sich unser in seiner Hoffnung auf erzaubertes Gold betrogene Herr, der sich anstatt seines Vergnügens mit Unrat und Hunger behelfen mußte, der beschämt und müde war, daß es Zeit seie nach Hause zu kehren, von dannen er sich heimlich weggestohlen hatte; Er kam ganz still und niedergeschlagen zu seiner Mutter; Die gute Frau roch gleich was Böses und es stunde nicht lang an, ehe sie die Ursache entdeckte. Einige Fragen, und etliche Stöße, mit welchen der Rücken und die Rippen nicht zufrieden sein konnten, brachten das ganze Geheimnis an den Tag; und damit der Delinquent auf einmal gereiniget und gestrafet werde, führte sie ihn zu einem Brunnen, und begoß sein Haupt gewaltig. Bald wäre er darüber ersoffen; Aber sein Leiden war für nichts gegen dem unsrigen zu rechnen. Wir wurden durch eine zweite Überschwemmung heimgesuchet; die Ströme, welche sich mit einem zehnfacht stärkern Geräusche als des Donners über uns ergossen, schwemmten hundertweise von uns mit sich weg, und die wenigen übergebliebenen würden nicht stark genug gewesen sein, sich länger zu halten, wenn das Ungewitter nur wenige Minuten länger gedauert hätte. Ich befand mich wieder unter den Entronnenen; und, nachdem wir uns ein wenig von unserm Schrecken erholet hatten, fanden wir zwar, daß wir unsere Freunde verloren hatten, daß wir aber zugleich von dem harten und zähen Schleime befreiet worden, daraus uns unsere eigene Stärke niemalen hätte reißen können. Also hatten wir nicht mehr nötig zu förchten, daß wir entweder werden aus dem Lande ziehen oder verhungeren müssen; dieser Gedanke tröstete uns, und wir wurden durch ihn in den Stand gesetzet, uns zu fassen, und an den Tod der unsrigen ohne Murren zu denken.
Dieses war aber nur der Anfang des Unglücks, das mich nachgehende ohne Nachlasse verfolgte. Gleich den folgenden Tag fand es der junge Herr, dem wir so treulich anhingen, für gut, sich mit einem Stocke zu bewaffnen, und einen seiner Gefährten zum Gefechte aufzufordern; er bekam aber von seinem mit gleichem Gewehr versehenen Gegner einen solchen Streich auf den Kopf, der meinen Gemahl, samt drei Kindern, die von meiner ganzen Familie noch einzig übrig waren, zu Atomen zerquetschte. Ich selber war dem Streiche so nahe, daß es mir durch die Erschütterung schwindlicht wurde; und der Junge, der sich sogleich kratzte, um den Schmerzen zu stillen, hätte mich bei einem Haare mit seinen Nägeln zerstöret. Dieser Zufall schreckte mich so sehr, daß ich in die Halsbinde hinunterkroch, worin ich mich den ganzen übrigen Tag hindurch aufhielt; als er sich des Nachts, um sein Stück Brot zu essen, in der Küche in den Ofenwinkel setzte, glaubte ich wenigstens bis den künftigen Morgen sicher zu sein, und fing demnach meine Mahlzeit an, von welcher mich die Gefahr und der Unfall des Tages abgehalten hatte. Entweder aber hatte mein langes Fasten meinen Biß schärfer als sonsten gemacht, oder ich packte einen fühlbareren Ort an: kurz, der Junge fuhr mit seinem Finger so geschwind und richtig, daß er mich ergriff, und mich mit aller Gewalt in das Feur schmeißen wollte; diese grausame Absicht würde ihm auch gewiß gelungen sein, wäre ich nicht zwischen Finger und Nagel stecken geblieben, und darauf auf ein Stück der Wäsche gefallen, die daselbst um zu trocknen hing.
Die Mutter des Jungen, die zuweilen von einer berühmten Wascherin etwas Weißgezeuge zum waschen bekam, hatte diesmalen feinere Arbeit als sonsten, und ich fiel auf den Ärmel eines Hemdes, das einem wegen seiner Schönheit in der Stadt sehr berühmten Frauenzimmer zugehörte. Ich versteckte mich mit vieler Behutsamkeit in die Falten; und den folgenden Abend hatte ich die Ehre, sie in eine vornehme Gesellschaft zu begleiten, wo sie jedermanns Augen auf sich zog; sie stand mitten im Zirkel des Neides, der Verwunderung, und der Sehnsucht. Hier fing ich an, meiner Gefängnis überdrüssig zu werden, und ich arbeitete mich zwischen den Halsspitzen hervor, in der Hoffnung, meinen Weeg unter dem Halstuche gegen dem Kopfe zu nehmen; aber ich fand mich in dieser Hoffnung gewaltig betrogen, denn sie hatte kein Halstuch um sich geleget. Doch wollte ich nicht gern den Rückweg nehmen; und weil der Ort, da ich mich befand, der Gegenstand aller Augen war, so wurde ich von denen, die zunächst standen, sehr bald entdecket. Sie sahen mich steif an, und von Zeit zu Zeit schaute eine Person die andere mit redenden Blicken an; das Frauenzimmer selber aber nahm dessen nicht wahr, weil sie sehr gewohnt war, jedermanns Auge nach ihr gerichtet zu sehen; doch dauerte das Hin- und Wiedersehen so lange, bis sie es endlich merken mußte, und als sie mit einer heimlichen Freude ihre Augen niederwärts richtete, entdeckte sie die fatale Ursache: Der Stolz färbte die Wangen augenblicklich mit Schamröte, welche die Bescheidenheit schon lange verlassen hatte, und weil ich meine Gefahr einsah, so eilte ich zurück. Ein junger Herr, welcher wahrnahm, wie empfindlich dieser Unfall dem guten Frauenzimmer seie, und welcher es vielleicht für unanständig hielt, sich in öffentlicher Gesellschaft dem Orte, da ich mich aufhielt, mit der Hand zu näheren, bückte sich, hielt seinen Hut für sein Gesicht, und blies so stark gegen mir, daß ich gleich einem Stäublein in einem Wirbelwinde hinwegfuhr; und ich fiel im gleichen Augenblicke auf den Kopf eines zierlich geputzten Stutzers, der gegen eine reiche Witwe seine Netze ausgestellt hatte, um mit ihrer Tonne Goldes seine Schulden zu bezahlen, und sich eine neue Mätresse anzuschaffen.
Hier aber war das Haar dünne, und überdies so kurz geschnitten, daß ich mich mit Mühe darunter verstecken konnte; nur war an jeder Seite eine einzige breite Rolle, da aber Puder und Fett meinem Gange unüberwindliche Hinternisse waren; doch hielt ich mich daselbst eine Woche lang auf, wiewohl ich mich auf alle Weise in fürchterlichen Umständen befand. Ich lebte in steter Einsamkeit und Gefahr von allen Geschöpfen meiner Art geschieden und den verfluchten Klauen des Bedienten bloß gesetzet, der mich alle Morgen und Abend verfolgte. Des Morgens war es das größte Glück von der Welt, wenn ich nicht in einen Klumpen Pomade eingeknetet wurde, oder zwischen der glühenden Zange eines Kräuseleisens zu Tode gepfetzet, und hatte ich mich gleich des Nachts aufs behutsamste und fertigste vom Kamme losgemacht, so war ich doch noch in Gefahr zwischen Papier zerquetschet, oder mit einer Stecknadel durchbohret zu werden.
► Gleich morgen an dieser Stelle der zweite Teil dieses haarigen Abenteuers!
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