Brahms + Dvorak

Lukas Sternath und das Sinfonieorchester Wuppertal unter Patrick Hahn

von Johannes Vesper

v.l.: Patrick Hahn, Lukas Sternath (Probenfoto) © Yannick Dietrich

 


Brahms + Dvorak
 
1. Sinfoniekonzert der 162. Wuppertaler Saison
 
Von Johannes Vesper
 
Sie schätzten sich. Brahms hat Dvorak unterstützt wie er nur konnte. Die beiden Komponisten in einem Konzert zu vereinen, ist also alles andere als abwegig.
 
Das 1. Klavierkonzert des jungen Johannes Brahms stammt aus einer hoch emotionalen Zeit. Er hatte in Düsseldorf die Schumanns besucht, hatte Clara gestützt bei den Problemen mit ihrem Robert und sich in sie verliebt. Wer weiß, ob nicht die Idee zu der Sonate für 2 Klaviere Ausdruck seiner Verliebtheit war. Jedenfalls haben die beiden diese Sonate oft gemeinsam gespielt. Mit der Komposition war er trotzdem nicht zufrieden, fand in seiner Sinfonie mit obligatem Klavier eine neue Form, und entwickelte, von Selbstzweifeln geplagt, über Jahre sein 1. Klavierkonzert in d-Moll.
 
Als Solist hatte GMD Patrick Hahn den jungen, in Wien geborenen Lukas Sternath engagiert, der schon als Wiener Sängerknabe die internationale Musikwelt „inhaliert“ hat. Sein Klavierstudium begann er in Wien, setzt es aktuell fort bei Igor Levit in Hannover. Meisterklassen bei Till Fellner und Andras Schiff erweiterten zusätzlich den musikalischen Horizont. So gewann er den ersten Preis des 71. ARD-Musikwettbewerbs 2022 und sieben zusätzliche Preise. Als Pianist konzertierte inzwischen in Katowicé, Hamburg, Dortmund, Köln, Stockholm, London, Wien. Baden-Baden und anderswo. Jetzt also spielte er in der Stadthalle auf dem Johannisberg das 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms, welches bei der Uraufführung 1859 „glänzend und entschieden durchgefallen war“ schrieb Brahms. In der Presse war damals von einer „totalen Componisten-Niederlage, von trostloser Öde und Dürre“ die Rede. Mit Orgelpunkt und Paukenwirbel begann nach dem zerrissenen erst ab- dann rhythmisierten aufsteigendem Oktavsprung in die Gegenrichtung mit kurzer Sechzehntelhatz, wütenden Trillern und nachfolgenden thematischen Absturz orchestral der 1. Satz im eher bremsendem als voranstürmendem 6/4 Takt mit jugendlichem Temperament, und die gut aufgelegten Sinfoniker begannen, sich ins Zeug zu legen. Erst nach 91 Takten mischt sich das Klavier fast beiläufig ins Geschehen. Erst nach den gefürchteten Oktavtrillern steht das Tempo. Kein Virtuosenkonzert im Sinne von Franz Liszt, geht es bei Brahms um aufgewühlte, wahrlich kolossale Emotionen, die hier über Hände und Klaviatur gemeinsam und zusammen mit dem erheblich geforderten Orchester rund 50 Minuten lang mit Wucht ihren Weg in die Ohren der Zuhörer finden.
 
Mit dem „Adagio male ich ein sanftes Porträt“ schrieb Johannes an Clara, überschrieb ihn ursprünglich mit „Benedictus, qui venit in nomine Domine“ (lateinische Messe) vielleicht ein Gedenken an ihren inzwischen verstorbenen Robert. Nahezu kammermusikalisch begannen die Fagotte ihr ruhiges Thema. Immer wieder wechselte das Klavier mit dem Orchester ab, schichtete nach beglückendem Pianissimo der Streicher seine Akkorde über einen orchestralen Orgelpunkt. Dieser Satz war für mich der musikalische Höhepunkt des Abends. Hier gelang es, die Spannung, Konzentration und volle Aufmerksamkeit zu erreichen und zu halten.
Im fröhlicheren Rondo des schnellen letzten Satzes ging es ungarisch und synkopisch zur Sache. Das Orchester schien fast überrascht vom Tempo des Klaviers. Brahms barocke Interessen führten zu einigen Fugati. Dynamik, technische Sicherheit und musikalischer Ausdruck des jungen Pianisten beeindruckten das Publikum im Gegensatz zur Uraufführung stark. Er wurde mit stehenden Ovationen gefeiert. Als Zugabe spielte Lukas Sternath das Intermezzo op. 116 Nr 1 es-dur. Ruhig, elegisch, makellos, höchst differenziert mit viel Gefühl, wunderbar ausgedeutet, verharrte das Publikum nach dem letzten Ton noch lange in konzentrierter Ruhe.
 

Lukas Sternath (vorn links), Patrick Hahn (rechts) - Foto © Johannes Vesper

Nach der Pause gab es Antonin Dvoraks Sinfonie Nr. 7 d-Moll op.70, die 1884 als Auftragswerk für die London Philharmonic Society entstand. Die Uraufführung in London hat er selbst geleitet und einen Ruf zu verteidigen, hatte er doch bei seinem England-Besuch schon im Jahr zuvor sein „Stabat Mater“ mit einem riesigen Chor vor 12.000 Zuhörern in der Albert Hall dirigiert. Immerhin hatte er mehr als zehn Jahre im Brotberuf als Bratscher im Orchester des tschechischen Nationaltheaters gespielt, bevor er auch international als Komponist so erfolgreich wurde. Für diese Londoner Sinfonie hatte Dvorak folkloristische Elemente böhmischer Musik, wie man sie sonst von ihm kennt, eher zurückgenommen, sich musikantisch aber um so mehr eingebracht. Beginnend mit dem düsteren Thema der Bässe entwickelte sich der 1. Satz schwungvoll und frisch mit dramatischer Dynamik und endet überraschend nach letztem kurzem Hornthema im Pianissimo. Eduard Hanslick sprach bei Dvorak von einem „naiv empfindenden, fröhlich schaffenden Talent“. Unter dem inspirierenden Dirigat Hahns konnte das Publikum diese Einschätzung gut nachvollziehen. Nach dem stimmungsvollen Adagio bot das Scherzo des 3. Satzes mit singendem gefällig schwingendem Thema, oft synkopisch versetzt, einen flotten tänzerischen Dreier mit abwechslungsreicher Thematik. Die Holzbläser waren schwer beschäftigt und begeisterten durch Sauberkeit wie lebendige Akkuratesse. Fast ohne Pause folgte der Übergang in den flotten Schlußsatz mit repetierten Blechbläser-Fanfaren. Kurze perlende Aufschwünge der Klarinette belebten den mitreißenden lebhaften Satz, der mit breitem pathetischen Ritardando strahlend endete. Das Publikum war begeistert, spendete frenetischen Beifall. Blumen gab es für den Dirigenten, der immer wieder auf die Bühne kommen mußte.
 
Sonntag, 22. 09.24, 11 Uhr. Montag, 23.09.24, 20 Uhr. Historische Stadthalle Wuppertal, Großer Saal.
Lukas Sternath, Klavier, Sinfonieorchester Wuppertal 162. Saison, Patrick Hahn, Dirigent.
Johannes Brahms (1833-197) Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op.15 1. Maestoso, 2. Adagio 3. Rondo Allegro non troppo
Antonin Dvorak (1841-1904): Sinfonie Nr. 7 d-Moll op.70, 1. Allegro maestoso, 2. Poco adagio, 3. Scherzo. Vivace 4. Finale Allegro. 
 
Am 25., 26, und 27. September spielt das Sinfonieorchester drei Konzerte im Großen Festspielhaus in Salzburg mit ähnlichem um Richard Strauss ergänztem Programm. https://www.kulturvereinigung.com/de