Ich bön de Kerl, de gern Poet wär...

von Hanns Dieter Hüsch

© André Polozcek / Archiv Musenblätter
Ich bön de Kerl, der gern Poet wär...

Ick bön de Kerl
de gern Poet wär
aber ich komm höchstens dazu
mir son Butterblum int Knopfloch
zu stecken
damit ich wenigstens
son poetisch Gefühl hab
un de verlorene Sohn
von Walt Whitman sein könnt
 
Aber wehe
wenn Se in sonne Verfassung
in ne Intercity Zuch geraten
wo all die sortierte Brüder rumlaufen
die so Köfferkes haben
Mit son Stahlbeschlach drumherum
un immer son fein genoppte Jacken anhaben
da trau ich mich stundenlang
nich in de Speisesaal
sitz lieber in mein Eck
un ess mir en Stück Schokolad
un lies mein Lieblingsdichter Jessenin
der sich glaub ich erschossen hat
un de eine Schweizer
Robert Walser mit Namen
de verrück geworden is
oder ich guck et Fenster raus
damit ich all die Gespräche nich hör
aber ich hör se doch all:

Schröder geht jetzt für 11.000 nach Augsburg
dafür kommt Lindemann nach Bremerhaven
in die ein Zweichstell
die jetzt angekurbelt werden muß
weil Steigerwald ja als Einkaufsleiter
zu Klettmann & Söhne gegangen is
für 9.000 brutto
dat heißt
da muß en länger zurückliegende  Absprach
von Schuster in Ems mit Süßwaren-Süd
mit im Spiel gewesen sein
sonst wär Schröder ja damals schon gleich
allerdings nur für 8.000
nach Augsburg gegangen
wann können Se denn die Schrauben liefern
dat muß demnächst dann nochmal detailliert
wenn Kremer zurück is aus Wien
besprochen un auf Vordermann gebracht werden
für 12.000 zuzüglich Provision
Empfehlung zu Hause

Ich weiß gar nich
wat dat is
Empfehlung zu Hause
aber dat sagen die immere
wenn se sich verabschieden
Empfehlung zu Hause
 
Manchmal möcht ich am liebsten
tot umfallen
weil de Kopp bald am platzen is
wenn ich all die Gespräche hör:
 
Aber auch da
glaub ich
gibbet manchmal Leut
die nich mehr ein noch aus wissen
un dafür dann wertvolle Platten sammeln
un kostbare Bilder un alte Uhren
oder sich wie de Jessenin
außem Staub machen
oder wie de Robert Walser nach Herisau
in en Heim gehen
weil se en Schraubenschlüssel
schließlich für en Butterblum halten
halten müssen
un umgekehrt
 
Früher hab ich immer gemeint
ich müßt denen all bös sein
aber ob et nun all de angelesene Kram is
oder de ganze Wirtschaftsklüngel
wir haben doch all de Ewigkeit im Nacken
un Haß is nich mein Brot
 
Jaa, ich bön de Kerl
de gern Poet wär
oder auch nur Literat
dann säß ich immer int Kaffeehaus
wie früher de Jacob van Hoddis
un de Alfred Lichtenstein
(de eine wurd deportiert
un de andre is ja schon im 1. Weltkrieg gefallen)
 
Ma gucken wer jetz in Mannheim
wieder aussteigt un wieder einsteigt
vielleicht wird der Speisewagen dann
en bißken leerer
un ich kann rasch
en Bier trinken gehn.
 
1976


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus den Bänden "Den möcht´ ich seh´n..." und "Das schwarze Schaf vom Niederrhein"
in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung