Über Leben und Tod
Bei der Planung der Dinge, die ich in diesem Leben unbedingt noch erledigen wollte, steht Fensterputzen an letzter Stelle. Ich habe lange gar nicht gewußt, daß man sie säubert. Ich dachte, von außen reinigt sie der Regen und von innen braucht man sie nicht säubern, weil es dort nicht regnet. Regen ja! Aufregen nein! Aber wissen Sie, im Grunde interessieren mich gereinigte Fenster überhaupt nicht, ich schaue sowieso kaum hindurch. Früher schon. Sogar oft. Früher schaute ich oft durch mein Fenster und meistens auf das meiner Nachbarin, die durch ihr Fenster auf meines schaute. Aber irgendwie schaffte ich es nie, daß sie sich für mich auszog. Ich meine, warum auch? Die Fensterscheiben waren beschlagen. Alles wirkte verschwommen wie in einem David-Hamilton-Film, und der wird morgen auf Sat 1 wiederholt, und ich habe doch kein Kabel.
Natürlich habe ich ein Fensterwischset. Ich habe sogar ein Fensterwischset mit einem schwenkbaren Schwingkopf. Mein Fensterwischset mit dem schwenkbaren Schwingkopf hat sogar eine Silbermedaille gewonnen auf der Weltausstellung in Paris. Mein Fensterwischset mit dem schwenkbaren Schwingkopf hat nur den einen Nachteil, daß es immer jemanden dabei braucht, der ihm überhaupt erklärt, wozu es da ist. Ich finde, das hört sich doch sehr stark nach Arbeit an. Ich möchte mal wissen, welches Fensterwischset auf der Weltausstellung in Paris die Goldmedaille gewonnen hat! Wahrscheinlich hat es zwei Beine und darf je nach Wunsch Marcel oder Brigit genannt werden und putzt nackt. Das zur Weltausstellung in Paris. Wieder am falschen Ende gespart. Nein, nein, nein. Ich habe in mich gehorcht und keine Kraft der Welt über, die mich zwingt, auf eine kleine Stehleiter zu steigen und womöglich mein Fenster zu putzen. Bei meinem Glück sieht man mich noch dabei.
Bei der Planung der Dinge, die ich in diesem Leben un bedingt erledigen wollte, steht Fensterputzen an letzter Stelle, dicht gefolgt vom Fußnägelschneiden. Ich habe lange Zeit gar nicht gewußt, daß da unten noch jemand wohnt. Natürlich hatte ich meinen Körper bereits bis zur Mitte erforscht und bin eigentlich ganz gut damit gefahren, und auf einmal melden sich die da unten und zwicken und schaffen sich durch meine Strümpfe Luft. Ich habe natürlich nun das Gefühl, wenn es noch nicht zu spät dafür geworden ist, auch ihnen das Gefühl zu geben, daß sie genauso zu mir gehören wie auch Herz, Milz und Leber. Habe ich auch Herz, Milz und Leber gesagt: »Begrüßt eure neuen Freunde und laßt diese Hinterwäldler nicht so spüren, daß ihr ihre Schirmmützen so putzig findet, die gehen auf meine Kappe.«
Bei der Planung der Dinge, die ich in diesem Leben noch unbedingt erledigen wollte, steht Fensterputzen an letzter Stelle, sehr dicht gefolgt vom Fußnägelschneiden, dicht gefolgt von »Bloß keinen Sport treiben«. Das hätte mir noch gefehlt. Wie ich mich kenne, schwitze ich wieder dabei. Verstehen Sie mich nicht falsch, Sportler können meinetwegen schon Sport treiben, aber die sind doch auch ganz anders gebaut. Aber was soll ich denn mit einem Trainingsanzug durch den Wald rennen und keine Brötchen holen? Es muß doch alles einen Sinn haben. Außerdem empfinde ich auch Sport treiben als Eingriff, als Eingriff in das Werk eines Gottes, der uns erschuf nach seinem Ebenbild. Das muß man akzeptieren können. Wenn ich höre, daß Gott anfängt, selbst Sport zu treiben, dann ziehe ich natürlich nach, schon wegen der Ähnlichkeit. Ansonsten verlasse ich mich auf die Vorsehung und das mit allen Konsequenzen.
Bei der Planung der Dinge, die ich in diesem Leben noch unbedingt erledigen wollte, steht Fensterputzen an letzter Stelle, dicht gefolgt vom Fußnägelschneiden, dicht gefolgt vom »Bloß keinen Sport treiben«, dicht gefolgt von »Bloß nicht mehr verlieben«. Nein, nein, nein. Das tue ich mir nicht mehr an. Wenigstens nicht in echt. Natürlich habe ich mich letzte Woche einmal verliebt, aber doch nicht in echt. Ich habe ihr auch knallhart gesagt: »Schatz, wenn ich wach werde, muß ich zur Arbeit.« Verstehen Sie, das war ein Traum. Mein einziger Traum in einem Fünf-Stunden-Schlaf. Im Grunde gerade zum Aushalten.
Und am Nachmittag war ich dann am Kartoffel schälen. Ich hatte noch links das Kartoffelmesser in der Hand und rechts die Kartoffel, da klingelte es plötzlich an meiner Haustür. Ich denke, da kann ich doch wohl aufmachen. Ich wohne da doch. Da stand da eine Frau vor der Tür, die mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, daß ein Mensch allein die ganze Welt erlösen könnte. Ich sagte, sicher, aber bei mir ist es gerade wirklich sehr schlecht. Ich bin doch gerade am Kartoffeln schälen, aber fragen Sie mal meinen Nachbarn Winni, der ist pensioniert, hat Zeit und ist auf Zack. Natürlich hatten wir uns völlig mißverstanden. Sie fragte dann wieder, ob ich mir vorstellen könnte, daß ein Mensch allein mit seiner Liebe die ganze Welt erlösen könnte. Und da fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen. Da war das die Frau aus meinem Traum gewesen. Ich lachte, zwinkerte ihr zu und sagte: »Natürlich kann ich mir vorstellen, daß ein Mensch allein mit seiner Liebe die ganze Welt erlösen könnte, aber warum denn so global denken, warum nicht beginnen mit kleinen ersten Schritten?« Natürlich hatten wir uns wieder völlig mißverstanden. Nach einer Zeit bekam ich sogar heraus, sie war bereits verheiratet, natürlich mit einem Arzt, »Hat-einen-eigenen-Parkplatz«, und da stand ich nun mit meinen Ärztesocken und fühlte mich wie ein Ausschlag.
Bei der Planung der Dinge, die ich im Leben noch unbedingt erledigen wollte, steht Fensterputzen an letzter Stelle, dicht gefolgt vom Fußnägelschneiden, dicht gefolgt von »Bloß keinen Sport treiben«, dicht gefolgt von »Bloß nicht mehr verlieben «, dicht gefolgt von »Bloß keine Harfe spielen lernen«, und schon gar nicht diese Melodie. Schrumm, schrumm di Bumm! Diese Melodie, die einen so nachdenklich macht, und es ist doch noch gar nichts passiert, was einen so nachdenklich macht. Und man könnte so Dinge sagen wie: »Ich lasse mir morgen deine Haare schneiden«, und schon macht es einen wieder so nachdenklich. Und man könnte so Dinge sagen wie: »Ich lasse mir nicht gerne von Jugendlichen die Tür aufhalten, ich muß mich dann immer so beeilen.« Und schon wird man wieder so nachdenklich. Das ist doch gemein. Und man könnte so Dinge sagen wie: »Na, Kapitän Wunderbar, ist noch Platz auf deinem Luxusdampfer? Gehen wir auch bestimmt unter?«
Und dann kommt man bestimmt in den Himmel. Man ist ja den ganzen Tag am Harfe spielen gewesen, man kommt ja zu nichts anderem. Und dann sagen die da oben: »Der kann aber schön Harfe spielen, den nehmen wir nicht zum Donnern, den nehmen wir nicht zum Wind machen. Der soll bei uns Harfe spielen, den ganzen Tag Harfe spielen.« Und dann rufe ich: »Eh Jungs, macht bloß keinen Scheiß. Gebt mit irgendwas Reelles, irgendwas Handfestes.« Und dann kommt einer von denen und sagt: »Kein Problem. Wir brauchen noch jemanden, der bei uns die Fenster säubert.«
Und ich denke, »Wußt ich's doch, wußt ich's doch.« Das zum Himmel. Aber man muß bescheiden bleiben. Ich habe schon herausgefunden: Im Himmel wachsen keine Fußnägel, ... aber natürlich Flügel ..., aber natürlich Flügel ...
Veröffentlichung in dem Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
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