Hören-Sagen, ins Bild gesetzt

Metavels Bilder der Schrift

von Andreas Steffens

Andreas Steffens

 Hören-Sagen, ins Bild gesetzt

 Metavels Bilder der Schrift

 




Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Metavel
(Tel Aviv) : WortBilder. Miniaturen zur hebräischen Bibel

Kirche in der City, Wuppertal, 10.05.07

Im Vergehen der Zeit geht man auch zu auf das, was sie einem bereits zuführte, ohne dass man es schon ergreifen konnte. Dann kommt in der Zukunft eine Vergangenheit zu sich, und wird Gegenwart.

So ergeht es mir mit der Kunst Metavels - : ich kenne sie, seit sie das Einladungsmotiv zur Feier des 80. Geburtstages des gemeinsamen Freundes Ulrich Sonnemann schuf, Jona im Bauch des Wals, ein Bild von heiterster Lichtkraft, an dem ich am meisten bewundere, mit welcher Leichtigkeit es der Malerin gelingt, ein tiefdunkles Ultramarinblau zum Leuchten zu bringen; und nun begegne ich dieser Kunst gleichsam von Angesicht zu Angesicht in der bezaubernden Auswahl, mit der sie die Lesereise ihres Mannes Elazar Benyoetz anlässlich seines 70. Geburtstages begleitet.
Jona im Bauch des Wals – eine der schönsten, und eine der rätselhaftesten Geschichten der Bibel. Aber verzeichnet sie auch nur eine einzige, die nicht rätselhaft wäre? Auch darauf beruht ihre Kraft des Verbindens. Die Bildkunst Europas ist ohne dieses Buch nicht denkbar, Jahrhunderte lang war sie Kunst seiner Illumination; Israel aber, dessen Sein auf diesem Buch beruht, hat ihm keine Bilder gewidmet. Denn es ist dem Wort verschrieben.

In der Souveränität des Eigensinns, die den Künstler macht, setzt Metavel sich über diese Jahrtausende überdauernde Grenze hinweg, und schafft eine Bildkunst der hebräischen Bibel. Ohne große Geste, denn ihre Gattung ist die Miniatur. Der Anspruch aber, der diese Kunst trägt, ist keineswegs gering. Wie sollte es auch anders sein, wenn man sich der Erforschung der höchsten Ansprüche an den Menschen widmet, die je erhoben wurden?
En toute chose inutile, il faut être divin. Ou ne point s’en mêler, schreibt Paul Valéry 1930 in seinen Aufzeichnungen >Choses tues< (20 f.): In allen überflüssigen Dingen muß man göttlich sein. Oder sich nicht einmischen (Verschwiegenes, 296). Jeder Liebhaber der Künste weiß, dass nur weniges so überflüssig ist, wie Kunst, und noch weniger so lebenswichtig wie sie. Deshalb kann ihr Maß nicht hoch genug sein: göttlich.

Was aber könnte dem Größten, dessen Wirklichkeit über alles hinausreicht, was ein Menschengeist erfassen kann, angemessener sein als die kleinste Form, zu der dieser fähig ist? Die Kunst der Miniatur ist die unbescheidenste, da sie es sich zutraut, mit beinahe nichts alles zu zeigen.
Das macht sie der Kunst des Aphorismus verwandt, die sich abverlangt, in einem Satz zu er-sinnen, wozu Bibliotheken nicht hinreichen, es zu ergründen. So hat es seinen guten Sinn jenseits persönlicher Intimität, wenn Elazar Benyoetz von der Kunst seiner Frau sagt: Ihre Miniaturen sind meine Aphorismen, nur um einiges feiner, poetischer (Grubitz, Keine Worte, 169).
Um den Einsatz und auch den Mut dieser Poesie zu ermessen, ist es gut, sich die Beziehung zwischen Wort und Bild zu vergegenwärtigen, deren Problematik im Falle Israels mehr ist als eine Sache der Ästhetik.

Wer – wie hier geschehen - , einen Schriftsteller bittet, etwas zu Bildern zu sagen, der setzt die Schrift vor das Bild. Damit geschieht, unscheinbar, etwas Tiefes. Etwas, das so tief rührt, dass der Grund, in dem es ruht, nicht mehr erkennbar ist - : Die Schrift vor das Bild zu setzen, ist nämlich eine der Ur-Gesten unserer Kultur, sofern diese auf der jüdisch-christlichen Offenbarung des einen und alleinigen Gottes beruht. Mit Elazar Benyoetz zu sprechen: Offenbarungen sind vor-bildlich; Gott tritt nicht in Erscheinung  (Schweigen, 24).
Die Unzumutbarkeit eines Gottessohnes für den Glauben der Väter beruht darauf, dass dieser Sohn in Erscheinung trat: er der sichtbar gewordene Gott sein sollte. In der Zweifelsgeste des Thomas tastet der alte Bund ein letztes Mal nach Unersetzbarkeit.
Die Offenbarung geschah im Wort; aber die Vernehmlichkeit des Offenbarten musste der, dem sie als erstem zuteil wurde, der Schrift anvertrauen: Was Moses zu hören bekommen hatte, erfuhren diejenigen, die dazu bestimmt waren, das Volk Israels zu werden, von den Tafeln, auf denen geschrieben stand, was er zu hören bekommen hatte. Die altjüdische Kultur des Bundes und des Gesetzes ist wortgewaltig und bildversagt/-verzagt.
Und der Herr redete mit euch mitten aus dem Feuer. Die Stimme seiner Worte hörtet ihr; aber keine Gestalt sahet ihr außer der Stimme.

Und er verkündete euch seinen Bund, den er euch gebot zu tun, nämlich die zehn Worte, und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln (5. Buch Moses, Kapitel 4, Vers 12-13).
Gottes Unanschaulichkeit ist der Ursprung der Bilder. Das Gesetz zeigt sich nicht, es spricht; und lässt sich schreiben. Wie aber das Geschriebene verstehen? Der menschlichste Impuls, noch, und gerade, das Unverständliche begreifen zu wollen, schafft sich im Bild Entschädigung für seine Unerfüllbarkeit.

Das Bilderverbot sanktioniert nicht nur die Unmöglichkeit, sich ein Bild dessen zu machen, der von sich keines dulden wollte, wie Adorno fand; es schützt nicht nur vor der Überforderung durch das, was gar nicht möglich wäre, dürfte man sich um es bemühen; es bietet vor allem einen ersten und letzten Halt in der Verabsolutierung des Wortes, das seine Verbindlichkeit durch die Schrift erlangt.
Wäre der Ursprung der Welt sichtbar, es gäbe an ihr nichts zu sehen. Es macht uns den Schöpfer uneinsichtig, da er sich unsichtbar hält; seine Schöpfung dafür umso ansehnlicher.

So bewahret nun eure Seelen wohl, denn ihr habt keine Gestalt gesehen des Tages, da der Herr mit euch redete aus dem Feuer und auf dem Berge Horeb, auf dass ihr euch nicht verderbet und macht euch irgend ein Bild, das gleich sei einem Mann oder Weib oder Vieh auf Erden oder Vogel unter dem Himmel oder Gewürm auf dem Lande oder Fisch im Wasser unter der Erde, - dass du auch nicht deine Augen aufhebest gen Himmel und sehest die Sonne und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, und fallest ab und betest sie an und dienest ihnen (5. Buch Moses, Kapitel 4, Vers 15-19).
Hierauf genau gehört, und das Verbot wird verständlicher. Es gilt nicht dem Bild; es gilt dem Götzen. Verworfen ist das Bild als angemaßte andere Gottesgegenwart.

Das Bilderverbot ist die Vorbeugung des eifersüchtigen Gottes, der keine anderen Götter neben sich duldet, gegen die Verlockung, die das mit seiner Einzigkeit noch nicht vertraute, vor allen anderen Geschöpfen von ihm aber schon ausgezeichnete Wesen anwandeln mag, in den Bestandteilen seiner Schöpfung nicht nur deren Teilhaftigkeit am Göttlichen zu sehen, sondern sie Göttern gleich anzuschauen, wie die Sterne im Himmel, das Feuer auf Erden. Kulturgeschichtlich beendet das Bilderverbot das Zeitalter der magischen Naturreligion. Die auferlegte Bildenthaltsamkeit beugt dem Rückfall vor, in der Welt statt Gottes Werk diesen selbst zu suchen.
Besteht diese Gefahr nicht mehr, hat sich die Einzigkeit Gottes einmal im Geist des Menschen als unverrückbar und unaufhebbar festgesetzt, verliert das Bilderverbot seine Notwendigkeit. So dass das Paradox entsteht, dass die Treue zum Gesetz von dem Verbot befreit, das es errichtete: wer nicht mehr in der Gefahr ist, der seine Untersagung wehrt, dem muß das Bild gestattet sein. Mit der einen, nun einzigen Ausnahme.

Der sich offenbarende Gott hat das Wort vor das Bild gestellt, indem er unsichtbar blieb, während er sich hörbar machte. Seitdem sind die, die an ihn glauben, dazu gehalten, ihn im Wort der Verkündigung zu vernehmen. Die Wörtlichkeit des Buches, das die Offenbarung festhält, birgt den Sinn des Vernommenen. Ebenso gewiß wie unklar, bedarf er unendlicher Auslegung.
Deshalb neigt Gehorsam, das Befolgen des Gehörten als Gebot, zur Blindheit. Wer wenig hört, muß viel sehen; wer nicht ein-sieht, muß ge-horchen. Die säkulare Kultur des aufgekündigten Wortes wurde folgerichtig eine der Bilderfluten.
Wer gehört hat, muß schreiben, lehrt Moses’ Erfahrung mit dem Seinsursprung; wer geschrieben hat, muß bilden, will er verstehen, was die Schrift ihm sagt: die Schriftgelehrsamkeit ist eine Kunst der Rede. Das Bild hat zu zeigen, was die Schrift vom Hören sagt.
Die Harthörigkeit auf das Gebotene in der Willfährigkeit gegen das Gebot ruft die Offensichtlichkeit des Bildes zu Hilfe: es zeigt, worauf der nicht hören will, der aufs Wort folgt.
Das Bild bremst die Voreiligkeit des Willens, dessen eilfertige Bereitschaft, zu ge-horchen, nur zu schnell darüber täuscht, auch das Gemeinte schon gehört zu haben. Deshalb tötet der Buchstabe, während der Geist lebendig macht.

Wer aufs Wort folgt, der verfehlt den Sinn des Gebotenen. Das Gebot aber will befolgt werden ausschließlich um dieses Sinnes willen. Im Vernehmen ihres Gemeinten kommen die Worte, die die Schrift versammelt, zur Vernunft.
So kann die Arbeit, sich Bilder der Schrift zu machen, zum Exerzitium werden, wieder hören zu lernen auf den Sinn der Worte, der sich in der Schrift verkörpert. Dann tritt das Auge in den Dienst des Ohres.
Zu bilden, was das Wort, in dessen Sinn hineingehört wird, im Geist, der schaut, erstehen lässt, ist die Arbeit der Miniaturistin Metavel. Denn ihre Bilder illustrieren den Text der jüdischen Offenbarung nicht, sie legen ihn aus: sie sollen seinen Sinn ansichtig werden lassen. Deshalb ist es keine Metapher, wenn sie selbst ihre Malereien als ‚WortBilder’ bezeichnet.
Das Wort zu bilden, ist ein Urbedürfnis des Menschen als des Wesens, das sehen muß, weil es gesehen wird (Blumenberg, Beschreibung, Zweiter Teil). Gott fragt den durch seinen Ungehorsam schutzbedürftig gewordenen Adam, wo er sei, nicht, weil er es nicht wüsste, sondern um ihm die Vergeblichkeit seiner Verbergung unverzüglich zu verstehen zu geben. Geschöpf ist, was vor seinem Schöpfer nicht unsichtbar sein, was sich selbst diesen aber nicht ansichtig machen kann.

Der Eine und Einzige, der auf seiner Unanschaulichkeit besteht, sichert diese durch Sichtbarkeit alles dessen, was er aus sich ins Sein entließ. Die Schöpfung ist unverborgen. Als Gesamtheit alles für den Menschen Sichtbaren drängt sie in seinem Bewusstsein als dem Bewusstsein des Wesens, das sehen muß, nach Darstellung: wirklich ist, was sich vor Augen führen lässt. So gehört die Anstrengung, zu sehen, was sich sehen lässt, und sichtbar zu machen, was noch unsichtbar ist, zum Lebensgesetz des Menschen. Es war eine anthropo-theologische Selbstverpflichtung der Kunst, als Paul Klee 1920 den Impuls der Moderne in den Satz fasste: Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar (Klee, Konfession, 76).
Die an Metavels Bildern zu Recht gerühmte ‚Poesie’ rührt auch daher, dass sie die Sichtbarkeit dessen erfinden, was das Gesetz als Repräsentant der Weltordnung sagt, deren menschliche Erfahrung jedoch vom Sehen und Gesehenwerden bestimmt wird. Sie schließt Lücken des Verständnisses.
Ihre Semantik ist alt-hebräisch; ihre Ikonographie aber in den wesentlichen Bezügen früh-christlich. Deshalb ist es von schöner Bezüglichkeit, sie in dieser Kirche zu zeigen, die das älteste Gemäuer birgt, das es in dieser Stadt gibt. Ihre Apsis stammt nämlich aus spätkarolingischer Zeit. Aus jener Zeit also, als in der Hofschule Karls in Aachen, mit dessen Gründung die zweite Geschichte Europas nach dem Ende der Antike begann, beinahe aus dem Nichts die Kunst des Mittelalters, die Buchmalerei erfunden wurde. In der Komposition, in der ornamentalen Initiale, vor allem aber in der Farbgebung durchdringen die Zeiten einander in Metavels Miniaturistik, in der sich die Spuren spätantik abstrakter Gestaltstilisierung ebenso finden wie die byzantinische Strenge, das Purpur der ottonischen Evangeliare ebenso wie das Blau der Brüder van Limburg im spätburgundischen Stundenbuch.

Damit verwirklicht sich in den Büchern, denen Metavel die Bilder dessen, was sie aus dem Buch der Bücher vernimmt, anvertraut, eine kulturgeschichtliche Unmöglichkeit, indem sie dem Wort der ersten Offenbarung Bilder mit den Darstellungsmitteln der zweiten verleiht, und eine Kunst Israels erfindet, die es nicht gibt. Aber etwas ist eben nur solange unwirklich, bis es sich begibt.
Kleine Bilder machen große Ohren. Ein wenig von dem, was ich durch sie vernehme, habe ich Ihnen sagen können; das im Ohr, werden Sie Metavels so ferne, und doch ganz gegenwärtige Welt en miniature vielleicht mit noch mehr Augen sehen. Denn wer nur mit seinen eigenen sieht, bleibt für das meiste, das gesehen werden will, blind.
Im Jahr 1932 konnte man im >Börsenblatt< der Buchhändler eine Annonce lesen: Die Wahrheit über Gott gebe ich mit 2 Exemplaren in Commission (Humor, 11).
Die da in traurig unfreiwilliger Komik versprochene Wahrheit über Gott ist gewiß etwas anderes als Gottes Wahrheit. Aber sollte es einem Menschen wirklich gegeben sein, die eine von der anderen zu unterscheiden, diese oder jene gar zu erfassen? Was uns möglich ist, wird wohl immer dazwischen liegen, mal der einen, mal der anderen Wahrheit näher.
Was Metavel dazwischen findet, birgt sie in ihren Bildern und Büchern. Sie sind in mehr als zwei Exemplaren, und ohne Commission zu haben.

Benyoetz, Elazar, Die Rede geht im Schweigen vor Anker. Aphorismen und Briefe, hg. von Friedemann Spicker, Drucke des Deutschen Aphorismus-Archivs 1, Hattingen-Bochum 2007
Blumenberg, Hans, Beschreibung des Menschen, aus dem Nachlaß hg. Von Manfred Sommer, Frankfurt/M 2006
Grubitz, Christoph, Hg., Keine Worte zu verlieren. Elazar Benyoetz zum 70. Geburtstag, Herrlingen 2007
Klee, Paul, Schöpferische Konfession (1920), in: ders., Das bildnerische Denken, Basel-Stuttgart 1956, 76-80

Steffens, Andreas, Stumme Dichtung, sprechendes Bild. Malerei und Schrift, in: schöngeist. Magazin für kunst-leben-denken, Heft 10, Berlin 2006, 56-63

© Andreas Steffens - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007