Das Mädchen

von Detlef von Liliencron

© Archiv Musenblätter
Das Mädchen
 

Ich ging gelangweilt auf und ab. In einer Stunde konnte ich das Städtchen verlassen, wo ich Geschäfte halber hatte einige Tage zubringen müssen. Plötzlich wurde es im Nebenzimmer lebendig. Zwei Herren waren im Gasthof angekommen. Der Kellner, nachdem er ihnen den Raum gewiesen hatte, war bei mir eingetreten. Auf meine müßige Frage, wer die Fremden seien, gab er zur Antwort, daß es scheine, als wenn Vater und Sohn sich hier getroffen hätten. Der junge Herr sei jedenfalls Student.

Als der Kellner gegangen war, hörte ich den Alten heftig schelten; er war augenscheinlich stark erregt. Aber ich konnte nichts verstehen. Nur das Wort: "das Mädchen", und immer wieder "das Mädchen" vernahm ich. Immer polternder, unwirscher wurde die Stimme; aber immer nur deutlich klang das Wort: "das Mädchen" an mein Ohr.
Der Sohn verteidigte sich, flehend, überzeugenwollend. Und auch von ihm war mir einzig und allein das Wort: "das Mädchen" vernehmbar. Und nichts konnte ich sonst aus dem leidenschaftlichen Gespräche herausnehmen, als von beiden Seiten das eine Wort: "das Mädchen, das Mädchen".

Ja, ja, das Mädchen, das Mädchen ...
 
 
Detlef von Liliencron