Die Traumdüse

Eine höchst musikalische Erzählung

von Eugen Egner

Foto © Frank Becker

Die Traumdüse

 

Ein Mann träumte immer wieder, er stehe mit seinem Instrument hinter der Bühne, um in der nächsten Minute mit einigen ihm völlig unbekannten Musikern einen Auftritt zu absolvieren, ohne die geringste Ahnung zu haben, was gespielt werden sollte und ohne irgendetwas zu können. Der Mann war ich. Nach etwa zwanzig Jahren verspürte ich den Wunsch, den Traum loszuwerden. Es gab nur einen Weg, um dieses Ziel zu erreichen: Ich mußte einen entsprechenden Auftritt gut vorbereitet meistern. Dazu war es erforderlich, Anschluß an eine Musikgruppe zu finden, und Voraussetzung dafür war, daß ich überhaupt ein Instrument spielen konnte. Alle fanden, das Instrument, das am besten zu mir passe, sei der Staubsauger. Das war gewiß keine originelle Idee, doch eine, für die in der Praxis einiges sprach. Beim Staubsauger entfiel von vornherein das leidige Stimmen, was als unschätzbarer Vorteil betrachtet werden mußte. Weiterhin wurde die Bedienung weder durch Kreuzgriffe oder reißende Saiten noch durch Wolfsquinten erschwert. Eher zufällig bekam ich Kontakt zu zwei Herren, die sich mit dem Gedanken trugen, eine Band zu gründen. Das Projekt war, wie ich bald herausfand, in erster Linie theoretischer Natur. In Ermangelung eines Proberaums traf man sich in der Wohnküche des einen oder anderen und redete über das gemeinsame Vorhaben. Manches Mal saßen wir auf diese Weise am Tisch beieinander, tranken Kaffee und aßen Industriekuchen. Praktische Musikausübung unterblieb. So kam ich meinem erklärten Ziel natürlich nicht näher. Ohne meine Mitgliedschaft bei der Kuchenkombo zu kündigen, sah ich mich nach etwas anderem um. Ein Zufall kam mir zu Hilfe, darin bestehend, daß ein avantgardistisch orientiertes Trio die Vertonung meines Gedichts „Schwirr schwengelt der Kotstreif am Firmament“ plante und um mein Einverständnis nachsuchte. Man fragte zudem an, ob ich bereit sei, bei der Aufführung als Rezitator mitzuwirken. „Nicht nur das“, antwortete ich, „ich bringe auch gleich meinen Staubsauger mit!“  Das nahm man mit Interesse auf, und schon bald fand die erste Probe statt. Mir erschien sogleich alles ganz vertraut, denn wir begannen mit Kaffeetrinken und Kuchenessen. Etwas grundsätzlich Neues erlebte ich, als danach wahrhaftig musiziert werden sollte ­– mit völlig fremden Menschen in mir unbekannten Räumlichkeiten! Wie im Traum hatte ich keine Ahnung, was ich spielen sollte. Bei der ersten Probe klang mein Gedicht wie eine vertonte Steuererklärung. Es war nicht leicht für mich, mein Instrument dem Klangspektrum von Flöte, Violine und Cello zu integrieren. Immer wenn ich den Staubsauger einschaltete, guckten die Damen an den Streichinstrumenten böse. Das dritte Trio-Mitglied, ein gewitzter Grenzgänger, spielte zu Beginn eine ofenrohrartige Flöte. Bei den nächsten Proben jedoch sagte er vor dem Öffnen seines Koffers: „Ich bin gespannt, was meine Mutter mir heute wohl eingepackt hat.“ Und jedesmal kam wieder die ofenrohrartige Flöte zum Vorschein. Der Mann hatte Humor! Er lachte auch herzlich, als ich bei der Uraufführung in Hendrix-Townshend-Manier die Düse meines Staubsaugers zertrümmerte. Seither träume ich von einer neuen.


© Eugen Egner - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007