Straßenschilder

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek / Archiv Musenblätter
Straßenschilder

Ich habe Ihnen, glaube ich, schon mal gesagt, daß ich keinen Führerschein habe und deshalb nicht Auto fahren kann. Und das ist immer noch so. Das ist auch weiter gar nicht schlimm. So daß ich darum bitte, von Beileidsbezeugungen Abstand zu nehmen. Und Sie glauben gar nicht, wie viele Taxifahrer zu mir sagen: »Wie gut, daß Sie kein Autofahrer sind.« Also so gesehen, ist das sogar noch eine soziale Tat, daß ich kein Auto fahre, weil ich keinen Führerschein habe. Denn ich halte damit ja die Droschkenkutscher am Leben. Ja sicher! Obwohl viele von denen inzwischen gar nicht wissen, wo sie hinfahren sollen. Die müssen dann während der Fahrt immer unter E 4 und H 9 nachgucken. Gut, die alten Hasen, die kennen ja die ganze Welt auswendig. Wenn man denen eine Nebenstraße in Budapest sagt, dann sagen die nur: »Alles klar!«, fahren dorthin, warten zwei Stunden und fahren auch wieder zurück. Vorausgesetzt die Nebenstraße ist immer noch da, wo sie früher war. Und es ist irgendwo ein Straßenschild dran. Also, das muß ich jetzt mal sagen: In Deutschland gibt es zu wenig Straßenschilder! Wahrscheinlich gibt es genug, nur ich sehe sie nicht. Ich gucke wie ein Verrückter aus dem Auto, meinen Sie, ich finde ein Straßenschild oder einen Straßennamen. Also, da fährt man so eine lange Straße entlang mit furchtbar vielen Nebenstraßen. Die Nebenstraßen, die haben alle Schilder. Sagen wir mal: Goethestraße, Kleiststraße, Lessingstraße - also Dichterstraßen. Aber die Hauptstraße selbst, die hat gerade mal am Anfang ein Schild: Adenauerallee. Und dann ist Sense! Und wenn du das Schild übersiehst, bist du kilometerlang verloren. Ich weiß, ich bin ein Nörgler. Aber Sie müssen mal selbst drauf achten! Kilometerlang kein Schild! Da werde ich krank! Und wenn man in einer völlig fremden Stadt ist und sich orientieren will, ist man restlos fertig. Und jedesmal denke ich: An der Ecke, da wird ja wohl ein Schild kommen. Nix! Oder an der großen Kreuzung da vorne. Da ist dann das Schild so weit weg, daß ich den Namen mit bloßem Auge - also mit nacktem Auge, bloß heißt ja nackt, bloß, dazu das Substantiv: die Blöße -, daß ich mit bloßem Auge den Straßennamen nicht erkennen kann. Oder das Schild steht nur auf der entgegengesetzten Fahrbahn, so daß ich mit bloßem Auge nur die Rückseite sehe. Und da steht nichts drauf. Also das muß doch nicht sein. Ein, zwei Schilder mehr, und man weiß, wo man ist. Es ist nicht überall so, aber oft! Jedenfalls da, wo ich ein Straßenschild brauche und suche, da ist keins. Und ich bin schon im falschen Stadtteil und muß noch mal um den ganzen Pudding rum - vielmehr mein Fahrer. Ich fahre ja nicht, ich gucke mir nur nach den Straßen- schildern die Augen aus. Da hat einer allein schon genug zu tun. Im Bahnhof manchmal genau so. In manchen Bahnhöfen kommt das Wichtigste viel zu wenig vor! Uhren und Fahrpläne! Also ich sage Ihnen: Es gibt Bahnhöfe, da stehe ich mitten drin und suche und finde keine Uhr. Und dann will ich noch mal nach meinem Zug gucken und nach dem Gleis und finde keine Abfahrtstafel. Und dann sehe ich plötzlich eine, gehe darauf zu. Was ist es? Alles nur für Bahnbusse, S-Bahnen und die in Richtung Lüdenscheid und in Richtung Wetzlar! Da könnte ich also wirklich! Wirklich! Aber ich sage es lieber nicht, was ich da könnte!



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung