Mal wieder Dessau (Baden bei Wien, 1870)

Die Fledermaus in einer Inszenierung von Hinrich Horstkotte

von Alexander Hauer
Dessau  
Die Fledermaus

Mal wieder Dessau
Baden bei Wien, 1870
 
Schon in der Ouvertüre sieht man die Abgründe eines Kurortes. Anstatt in Badewannen Entspannung für steife Glieder zu suchen, treibt die Kurgesellschaft ein fröhliches „Wanne, wechsle dich“ Spiel. Badepartner werden so häufig getauscht, daß es schwer fällt, die Übersicht zu bewahren, wer gerade mit wem „badet“. Und mitten drin ein düpierter Anwalt, eine Mischung aus Metternich und Coppolas Dracula. Ulf Paulsen gibt diesem Rechtsanwalt Falke hinterlistige und grausame Züge. Sein Opfer ist der herrlich selbstherrliche Eisenstein (Wiard

Foto © Claudia Heysel
Withold) ein ewig Polternder, der sowohl seine Gattin als auch seine Bediensteten tyrannisiert. Aber das Leben ist gerecht, sowohl Gattin Rosalinde als auch Zimmerkätzchen Adele orientieren sich in andere Richtungen. Rosalinde, von sinnlich warmem Sopran Angelina Ruzzafante, tendiert zu einem Techtelmechtel mit ihrem alten Bühnenpartner Alfred (Andrew Sritheran), Adele, präzise, aber sehr zart: Sharleen Joynt, will hinaus ins zweifelhafte Leben. Der Weg dorthin führt über einen Ball beim Prinzen Orlofsky. Dieser Orlofsky wird in alter Dessauer Tradition von einem Tenor gesungen. David Ameln gibt dieses dicke Kind mit dünnen Beinchen auf eine erschreckende Art, brutal wie ein Pubertierender, der einen Erwachsenen spielt. Und das führt zu sehr komischen Momenten, insbesondere im Zusammenspiel mit seinem Kammerherrn Iwan (Joe Monaghan), der mit tänzerischer Präzision eine Melange aus Rasputin und messerschwingenden Dorfschläger gibt. Mehr als überzeigend ist auch der Frosch von Jan-Pieter Fuhr. Ein Reimgott und Wortverdreher jenseits aller Froschklischees, spielt er diesen KuK Unterbeamten voll hintergründigen Humor.

Ein genaues Sittenbild
 
Hinrich Horstkotte bricht mit seiner Fledermaus mit neuen „Traditionen“. Er inszeniert ein genaues Sittenbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts, ohne peinliche Details offenzulegen. Der Ball bei Orlofsky ist ein wahrer Ball, elegante Menschen ergehen sich in sinnlichen Genüssen. Genau wie das Gefängnis ein trister Provinzknast ist.

Foto © Claudia Heysel
Ein wichtiges Element in der Inszenierung ist neben den Kostümen das Bühnenbild. Martin Dolnik hat als roten Faden immer eine Badewanne auf der Bühne, selbst der Orlofsky-Akt spielt in der Wanne und selbst der Kronleuchter mutiert zum Wannenstöpsel. Als der Ball nach der wunderbaren Balletteinlage, choreographiert von Gabriella Gilardi, nach Strauß’ Schnell-Polka op. 393 „Stürmisch in Lieb und Tanz“ zu eskalieren droht, Frank wieder in sein bürgerliches Leben als Gefängnisdirektor und Eisenstein endlich seinen Arrest antreten will, werden die beiden einfach durch den Abfluß in den Knast gespült, ein herrlicher Einfall.
Angelina Ruzzafante wird vom Hausmütterchen Rosalinde zur gefährlichen, tief dekolletierten Pusztadomina, deren „Klänge der Heimat“ wohl als absoluter Höhepunkt des zweiten Aktes gelten muß. Ansonsten dominieren die dunklen Stimmen, Ulf Paulsen als Dr. Falke und Wiard Witholts Eisenstein, zwei Marksteine in der Baritonriege, Kostadin Arguirov als Falke in gewohnt überzeugenden Baßtiefen. David Ameln lebt diesen Kind-Orlofsky, gibt ihm jugendliche tenorale Klänge. Die Rollen von Andrew Sritheran und Filippo Deledda als Dr. Blind sind leider zu kurz für das sängerische und komödiantische Talent der beiden. Den Chor unter Helmut Sonne zu loben hieße Eulen nach Athen tragen, ebenso das Lob der Anhaltischen Philharmonie, die unter Wolfgang Kluge wienerisch-sinnliche Champagnerlaune auf höchstem Niveau verbreitete.

Eine „brave“, aber lustige und (ent)spannende Fledermaus endete auch in einer Sonntagnachmittagsvorstellung in begeistertem Applaus. Dessau lohnt sich nicht nur wegen der Oper.

Besuchte Vorstellung 19.12.2010
Weitere Informationen unter: www.anhaltisches-theater.de
 
Fotos von Claudia Heysel
Redaktion: Frank Becker