Caligula und die Würstchen

Martin Kloepfer inszeniert in Wuppertal Albert Camus´ Drama

von Frank Becker

Foto © Frank Becker

Caligula und die Würstchen

 
Martin Kloepfer inszeniert Albert Camus´ Drama
als Parabel auf den Kleinmut
Deutsche Bearbeitung von Uli Aumüller
 
 
Regie: Martin Kloepfer – Ausstattung: Oliver Kostecka – Dramaturgie: Sven Kleine
Besetzung: Gregor Henze (Caligula) – Sophie Basse (Caesonia) – Lutz Wessel (Helicon) – Thomas Braus (Cherea) – Hendrik Vogt (Scipio) – Helmut Büchel (Senectus) – An Kuohn (1. Patrizierin) – Pino Popolo (Octavius) – Julia Wolff (2. Patrizierin) – Klaus Hille (Lepidus) – Anne-Catherine Studer (3. Patrizierin) – Wolfgang Möser (Mucius)
 
 
Was braucht es, um einen Menschen in derart heiligen Zorn zu versetzen, daß er sich gegen den Tyrannen erhebt? Den Mord am eigenen Vater? Die Schändung der eigenen Tochter? Selbst zum Mord am Geliebten befohlen zu werden oder einer solch schändlichen Tat als Zeuge beizuwohnen? Mehr als das, signalisiert Regisseur Martin Kloepfer in seiner um das erbärmliche Zeitkolorit aktueller TV-Präsentationen bereicherten Inszenierung von Albert Camus´ selten aufgeführtem Drama um die Selbstbestimmung des Menschen.
 
Die nämlich endet da, wo er auf das unüberwindbar scheinende Hindernis unbegrenzter Autorität zu stoßen glaubt. Vor Kaiser Caligula (Gaius Caesar Augustus, 12-41, römischer Herrscher von 37-41, eine historische Figur) und seiner hemmungslosen Ausübung absoluter autokratischer Macht knicken die Hofschranzen des Imperium Romanum ein, gleich welches Unrecht, welche Erniedrigung ihnen zugefügt wird. Gregor Henze gibt in der Wuppertaler Inszenierung den juvenilen Tyrannen in einer grandiosen Gratwanderung zwischen dem Beobachter mit klarem Verstand und seinem Handeln in wachsendem Wahnsinn, in den seine Hybris mündet. Aus dem Kreis der Vertrauten, die den jungen Herrscher bis zum einschneidenden Verlust seiner Geliebten und Schwester Drusilla geführt haben, wird im Handumdrehen ein nur kurz aufbegehrender Haufen von zitternden Opportunisten, der unter den ersten, heftig geführten Schlägen des blutdürstigen Imperators zu niederstem Personal zerfällt.


Foto © Uwe Stratmann
Armselige Würstchen, lassen sie alles, aber auch alles geschehen, bebend vor Furcht, das nächste Opfer des skrupellosen Herrschers zu werden. Daß Kloepfer dabei den Blick mehr als nur „auch“ auf das Publikum richtet, sondern es mit parodistischen Mitteln von Beschreibungen „moderner Kunst“ durch Caesonia (grandios: Sophie Basse) und mit grell überzeichneten Schnipseln deutscher TV-Unterhaltung (Lutz Wessel und ebenfalls Sophie Basse) eindeutig in den Fokus seiner Fingerzeige rückt, ist nicht zu übersehen. Ja, die Rede ist in Kloepfers Interpretation von Ihnen und von mir, von uns. Gelähmt von der unnachgiebigen Gewalt des Mannes, der sich für den einzig freien Menschen hält und das nur in sinnlosen Morden glaubt beweisen zu können, der in wahnwitzigen Maskeraden seine makabren Späße treibt, wissen die Erniedrigten nicht die eigene Macht zu nutzen – so Scipio (Hendrik Vogt), der mit der blanken Klinge in der Hand vor der Rhetorik des gefesselten
 Caligula scheitert.

Nur zwei Personen schlagen sich aus unterschiedlichen Motiven auf die Seite des von Frauen erzogenen 25-jährigen Kaisers: die ältere, notgeile Kurtisane Caesonia und der aus dem Sklavenstand erhobene Günstling Helicon. Caesonia, weil sie nichts anderes kann, als - durchaus zu ihrem eigenen Vorteil - Liebe geben und Helicon, weil er blind vor Dank und bei aller Intelligenz („Ich weiß viel, aber es interessiert mich nicht.“) Caligula hündisch ergeben ist, ein Strizzi mit Goldkettchen und Badelatschen. An erbärmlichen Untergang dieser beiden wird sich auch das Ende des Tyrannen messen. Sophie Basse glänzt in hinreißender Wandlungsfähigkeit, gibt ihrer Caesonia genau den gebrochenen Charakter, der sie zum Bindeglied zwischen Caligulas Liebes-Trauma und seiner am Unmöglichen scheiternden Maßlosigkeit werden läßt. Obwohl privilegiert, wird sie das letzte Opfer der auch aus Hunger nach den eigenen Grenzen mordenden Bestie. Basse tut das komödiantisch und ungemein tief empfindend.
 
Eine einzige Figur vermag Caligula wirklich zu widerstehen – der an den Rollstuhl gefesselte Dichter Cherea (Thomas Braus), der zwar als denkender Mensch und erklärter Gegner Caligulas mit dessen Duldung energisch den Gegenpart gibt, aber weise genug ist, den Bogen angesichts der Unzuverlässigkeit selbst von Verschwörern nicht zu überspannen. Thomas Braus verkörpert den intellektuellen Hofnarren, einen Philosophen, der auch dem Patriziertum, mit dem er sich zeitweilig verbündet und seinem geld- und einflußgierigen Opportunismus ablehnend gegenübersteht. Caligula ist er nicht nur ein ebenbürtiges, sondern mehr: ein überlegenes Gegenüber.


von links: Thomas Braus, Lutz Wessel, Gregor Henze, Hendrik Vogt, Sophie Basse - Foto © Uwe Stratmann

Hier sieht der Maßlose in Minuten des offenen Wortes seine Grenzen, hier vergeht er sich gegen sich selbst, indem er sich dazu erniedrigt, Hand an den Hilflosen zu legen. Doch auch durch solche Selbstbestrafung kann er sich dem eigenen Untergang nicht entziehen. Seinen Sturz provoziert er, der das höchste, bewußt überzogene Ziel nicht erreichen konnte, nämlich den Mond zu besitzen, in restloser Übersättigung selbst. Was er wolle, kann er noch einmal sagen: „Nichts mehr! Nur noch alles!“ Martin Kloepfer macht auch aus dem Tyrannenmord eine Absurdität, er läßt Caligula nicht stilgerecht erstechen, sondern mit Flaschen erschlagen, nachdem er ihn Jonathan Kings „Everyone´s Gone To The Moon“ (1965 für eine Woche auf Platz 10 der US-Charts) gebrochen hat singen lassen.
 
Es sind die leisen Töne, die diese Inszenierung ausmachen, viel tiefer dringen als das plakative Verrecken an Gift-Pillen, die angedeutete Vergewaltigung einer Patrizier-Tochter oder der grölende Caligula. Es ist auch dadurch so erschreckend, daß sich die Figuren im Laufe der drei Jahre überspannenden Handlung zwar äußerlich verändern, ihre angstgelähmten, katzbuckelnden

Gregor Henze - Foto © Uwe Stratmann
Charaktere aber nicht entwickeln. Ein hervorragendes Ensemble, allen voran Gregor Henze, Sophie Basse und Thomas Braus trägt die 105 Minuten ohne Pausen-Unterbrechung – sehen wir mal vom hölzernen Spiel zweier Laiendarsteller ab – und setzt das Regiekonzept in geradezu  unbedeutender Ausstattung brillant um. Camus´ „Caligula“ wurde zu seiner Entstehung 1945 als Parabel auf Hitler und seinen Hofstaat gesehen. Heute ist nicht nur die Welt voller kleiner und großer, und beileibe nicht nur politischer Hitlers, heute scheint die Bedenkenlosigkeit, mit der solchen Gestalten auch medial Freiraum gewährt wird, grenzenlos. Kloepfer könnte mit seiner Inszenierung einen Hinweis darauf geben wollen. Wenn das sein Plan war, ist die Rechnung aufgegangen.
 


Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de