Meisterwerke der Zeichnung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum

Erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt: Die Sammlung Bernd und Verena Klüser

von Beate Eickhoff/Bec.
 
Zettels Traum
 
Die Zeichnungssammlung Bernd und Verena Klüser
 
15. März – 19. Juni 2011
 

„Zeichnung ist Kammermusik und keine große Oper.“
(Bernd Klüser)
 
 
Das Hauchartige wahrnehmen

D
as „Hauchartige wahrzunehmen als ästhetisches Konzept“ empfahl Joseph Beuys dem Betrachter von Arbeiten seines Schülers Blinky Palermo. Unschwer läßt sich diese Idee auch auf die Kunst der

Anthonys van Dyck, Diana und Actaeon - Foto © Frank Becker
Zeichnung früherer Jahrhunderte beziehen: Anrührend feine Federzeichnungen italienischer Künstler des 16. Jahrhunderts wie Giovanni Francesco Barbieri, Stefano della Bella oder Fra Bartollomeo bilden den chronologischen Auftakt zu der überaus reichen Sammlung von Zeichnungen aus fünf Jahrhunderten, die Bernd und Verena Klüser über vierzig Jahre hinweg zusammen getragen haben. Ihre ersten Blätter von Joseph Beuys erwarben die Klüsers bereits Ende der 60er Jahre – mittlerweile ist alleine ihr Bestand an Beuys-Arbeiten auf 130 angewachsen.
 
Unter dem Titel „Zettels Traum“ stellt das Von der Heydt-Museum die Sammlung des aus Wuppertal stammenden Galeristenpaars Bernd und Verena Klüser erstmalig der Öffentlichkeit in diesem Umfang vor. Die Parallele zu Arno Schmidts hochkomplexem Meisterwerk „Zettels Traum“ liegt auf der Hand: Wie dem Schriftsteller, so genügt oft auch dem bildenden Künstler ein einfacher Papiergrund und ein Stift oder eine Feder, um spontan und unmittelbar Ideen und Notate festzuhalten. Und im Verlaufe der fünf Jahrhunderte, in der sich die Sammlung Klüser bewegt, sind die technischen Mittel erstaunlich gleich geblieben.
 
Ein Bogen von 500 Jahren


Italienisch, um 1700 - Foto © Frank Becker
Ein Schädel, von unbekannter italienischer Hand im 17. Jahrhundert mit Rötel skizziert, zauberhafte Landschafts- und Naturdarstellungen und Reminiszenzen an die Antike eröffnen den Reigen der ausgestellten Arbeiten. Anthonys van Dyck und Rembrandt van Rijn gehören zu den Meistern, die hier vertreten sind, ebenso wie Jean-Honoré Fragonard, Johann-Heinrich Füssli, Jean-Auguste-Dominique Ingres oder Wilhelm Leibl. Zu den jüngeren zeitgenössischen Künstlern der genau 220 Werke, die in Wuppertal bis zum 19. Juni zu sehen und nur ein Auszug aus der umfangreichen Sammlung sind, gehören Sean Scully, Jan Fabre und David Godbold. Die Berliner Künstlerin Jorinde Voigt, der innerhalb der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet ist und deren Werk von Julia Klüser betreut wird, ist mit ihren zarten, federleicht wirkenden graphischen Großformaten sicherlich eine der spannendsten Neuentdeckungen. Hier begegnen sich in unerhört fesselnder Phantasie Musik, Poesie und Zeichenfeder.
Mit umfangreicheren Werkkomplexen sind neben Beuys und Palermo so unterschiedliche Künstler wie Andy Warhol (Lenin) oder Alberto Giacometti in der Sammlung vertreten. Zur Kunst der

Max Beckmann, Frauenraub - Foto © Frank Becker
klassischen Moderne zählen des weiteren Henri Matisse, Francis Picabia, Ernst Ludwig Kirchner, Julio Gonzales (Junges Mädchen, lesend) oder Giorgio Morandi, von denen ebenfalls Blätter von ausgesuchter Qualität zu sehen sind. Weitere Höhepunkte der Zeichnungskunst stammen von den Malern der italienischen Transavanguardia, Enzo Cucchi und Mimmo Paladino. Ein Blatt von Max Beckmann zeigt mit dem „Frauenraub“ eine kraftvolle Studie, Ernst Wilhelm Nays Aquarell 1964 erinnert zart an Emil Nolde, während Nay Otto Freundlichs „Komposition“ (1938) wie einen Impuls empfunden haben könnte. 
 
Schwerpunkt 20. Jahrhundert

„Munch … war der Auslöser meines Interesses an der Moderne. Vor 50 Jahren schrieb ich über ihn die ersten unbeholfenen Zeilen im Kunstkontext – in der Schülerzeitung meines Wuppertaler Gymnasiums“, erzählt Bernd Klüser im Interview des zweibändigen Katalogs. Munchs lithographiertes Selbstportrait aus dem Jahr 1895 (sein erstes) zeigt in reifer Klarheit den nachdenklichen, in sich gekehrten Blick des expressionistischen Künstlers, dessen zwei Jahre zuvor gemalter „Schrei“ ein Manifest des Expressionismus ist.
Jannis Kounellis (4 – o.T.), Tony Cragg oder Olaf Metzel sind nur einige weitere Künstler, die in den folgenden Jahren als brillante Zeichner und Grafiker die Aufmerksamkeit des Sammlerpaares auf sich zogen. Aber auch Außenseiter wie der taubstumme amerikanische Autodidakt James Castle oder bekannte Größen wie Victor Hugo, Louise-Adolphe Soutter oder John Cage, deren grafische

Edvard Munch - Foto © Frank Becker
Arbeiten noch zu entdecken sind, entgingen dem Kennerblick nicht.
 
Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf der Kunst des 20. Jahrhunderts. Es ist die selbst gestellte Herausforderung, Neues kennen zu lernen und zu vertiefen, die Bernd und Verena Klüser - als Galeristen ausgewiesene Spezialisten im Bereich der modernen Kunst – weiter dazu veranlaßten, für die eigene Sammlung auch alte Kunst zu erwerben. Ihnen geht es um die Zeichnung als Medium, nicht um die historische Einordnung. Der Bezug zu heutigen modernen Ansätzen leitet den Blick auf die vorangegangenen Jahrhunderte und sucht nach Parallelen, wie an einem prominenten Beispiel deutlich wird: etwa der nervös suchenden Linie, die sich bei Palma Il Giovane genauso wie im graphischen Oeuvre Alberto Giacomettis nachverfolgen läßt.
 
Die Zeichnung als autonomes Kunstwerk

Auch die Themen verbinden historische und aktuelle Kunst, wobei es sich eher um philosophische und poetische Sentenzen handelt, als um das repräsentative Motiv oder die große Erzählung. Die Sammlungstätigkeit orientiert sich folglich nicht an Bildmotiven; relevant ist einzig die individuelle, künstlerische Umsetzung einer Bildidee in das Medium der Zeichnung.
Eine grundlegende Eigenschaft der Zeichnung über die Jahrhunderte hinweg, die in dieser

Otto Freundlich, Komposition - Foto © Frank Becker
Sammlungsausstellung deutlich wird, ist, daß Künstler hier oftmals experimentelle Gestaltungsansätze wagen, die der Malerei oder Skulptur den Weg zu neuen Methoden weisen. Die „intime Nähe zum Arbeitsprozeß“ wird zwar erst in der aktuellen Kunst zum Programm, das Ringen um Idealform und persönlichem Stil wird jedoch bei Künstlern aller Jahrhunderte gerade in der Zeichnung offenbar. Deshalb ist das Faszinierende so vieler älterer Zeichnungen, daß sie, wie Bernd Klüser sagt, bereits vor dem Beginn der eigentlichen Moderne im 19. Jahrhundert erstaunlich modern sind.
 
Die Zeichnung wird in dieser Sammlung als autonomes Kunstwerk begriffen, nicht als Beiwerk, etwa als Vorstufe zum elaborierten Gemälde. Sie ist eine intime, private, eine sehr persönliche Zwiesprache des Künstlers mit sich selbst, mit seiner Beobachtungsgabe, mit seinen künstlerischen Möglichkeiten und seinem technischen Können, mit seinen Ideen und Zielen, und mit einem eher zufällig in diesen Prozeß eintretenden Betrachter. „Eine Zeichnungsausstellung ist keine große Oper, sondern eher ein Kammerkonzert“, folgert Bernd Klüser. Weder spektakulär noch populistisch, lädt die Zeichnung zum ästhetischen Kunstgenuß, zum Nachdenken, zum kritischen Vergleichen und Erkenntnisgewinn ein.
 
Opulenter Katalog

Zur Ausstellung erscheint im Verlag des Museums ein opulenter, zwei Bände umfassender Katalog,

Andy Warhol, Lenin - Foto © Frank Becker
herausgegeben von Bernd Klüser, mit insgesamt 642 Seiten und zahlreichen Abbildungen, einem Interview mit dem Herausgeber, einem Einführungstext von Michael Semff, Leiter der Staatlichen Graphischen Sammlung München und ausführlichen Werktexten von Christian Quaeitzsch. Provenienzen und Indexe erschließen die Bände mustergültig. Der Preis von nur 50,- € ist angesichts der hohen Qualität und des Umfanges der in Ganzleinen gebundenen und mit Schutzumschlägen versehenen beiden Katalogbände nachgerade lächerlich gering.
 
Ein zusätzlicher großformatiger Einzelband im Softcover zum Werk Jorinde Voigts gibt hervorragend Einblick in deren humorvolle Arbeits- und Gedankenwelt, die spontan an den Federstrich Paul Floras erinnert. Der Band von 144 Seiten ist im Verlag Hatje Cantz erschienen und kostet 25,- €.
 
 

Dr. Beate Eickhoff
ist die Beauftragte für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Von der Heydt-Museums in Wuppertal.

 
Julio Gonzales, Mädchen, lesend - Foto © Frank Becker
 
Gesamtredaktion, Bearbeitung und Fotos: Frank Becker
 
Weitere Informationen unter: www.von-der-heydt-museum.de   und  www.hatjecantz.de