Japan in einem Atemzug

(Auszug)

von Michael Zeller

Ein Haiku Bashos - von seiner
Hand

 Japan in einem Atemzug

(Auszug)
aus Anlaß der Natur- und menschengemachten
Katastrophe in Japan
 
 
Siebzehn Silben
  sind so lang
wie ein Atemzug
 
                                                                                                                              Basho


Die Kruste so dünn
    Im Erdinneren gärt es
     Japans Schlaf ist leicht
 
Die schlanke Inselwelt, die Japan ist, haben Vulkane geschaffen. Das Land ist ursprungsnah, die Vulkane leben noch. Hier bebt die Erde, wie zu Beginn der Zeiten. So gut es den Menschen möglich ist, hat die Architektur sich darauf eingestellt. Aber immer wieder kocht es im Inneren der Erde hoch, die dünne Kruste zerbricht wie eine Oblate. Ein Stück Küste reißt es ins Meer, Berge bersten, Städte versinken in Schutt und Asche. Bis in unsere Tage hinein.
In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat ein Erdbeben Teile der Stadt Kobe verschlungen, sechstausend Menschen fanden den Tod. Was sagt eine solche Zahl?
 
Genug immerhin, daß ich die Fahrt mit dem Schnellzug Shinkansen hier unterbreche.
 
Kobe heute. Eine Stadt wie andere. Was hatte ich erwartet? Keine Spuren geblieben von der Zerstörung, die Katastrophe restlos überbaut. Ein neues Hafengelände posiert mit erfreulich abwechslungsreicher Architektur: Hotels als Hochhäuser, schmucke Einkaufsstraßen und –passagen. Großzügig angelegt Erholungsplätze am Rand des Wassers, auf denen sich – heute ist Sonntag – die Eltern mit ihren Kindern ergehen. Die Herzen geöffnet. Sonne setzt allem ihren Glanz auf. Wahrscheinlich ist es hier heute schöner, als es jemals war. Kein Gedenkstein, keine Inschrift. Für wen auch? Die Menschen der Stadt wissen es. Sie muß keiner erinnern. Sie nutzen die neugeschaffenen Räume, freuen sich daran. Das ist ihre Stadt. Die Sonne. Das Meer, glatt und ruhig. Ein solcher Friede. Der Kopf muß mir einreden, dass er trügerisch sei. Es sind immer die, die von außen kommen, die Fremden, Unbetroffenen, die sich Sorgen machen. Ohne jede Haftung. Morgen sind sie anderswo. Und die Einheimischen? Die hier leben wollen und hier leben müssen?
 
Sie leben.
 
                                                         Land und die Menschen
                                                         Auf Vulkane gegründet
                                                         ahn ich ein Zittern