Auf Schritt und Tritt

Eine künstlerische Begegnung mit dem Tod

von Frank Becker

Anne-Julie Raccoursier - The Last Reflex, 2011 - Foto  Frank Becker


Auf Schritt und Tritt

Am Sonntag öffnet in der Kunsthalle Barmen des Wuppertaler Von der Heydt-Museums eine in ihrem Sujet wohl einzigartige Ausstellung ihre Pforten: DEAD_Lines. Solange Künstler sich mit dem Leben beschäftigt haben, ist auch dessen Ende das Thema. Der Tod ist auf Schritt und Tritt im Leben dabei, daher auch topisch für die bildende Kunst. Raffael, Albrecht Dürer, Hans Baldung, Alfred Rethel und Gustav Klimt haben den Tod gemalt, Arnold Böcklins "Toteninsel" ist so legendär geworden wie Jacques-Louis Davids "Tod des Marat" (1793) und Wolf Vostell hat den Tod zum Fluxus-Thema gemacht. Francisco de Goya, A. Paul Weber, Edvard Munch, Bazon Brock, Salvador Dali haben sich mit dem Unausweichlichen beschäftigt - die Zahl der Künstler ist Legion. Erst kürzlich veröffentlichte der Lappan Verlag mit "SensenMan" einen Band mit Cartoons zum Tod, der mit den großen zeitgenössischen Zeichnern publikumsnah die makaber-witzige Seite des Sterbens und seiner Umstände präsentierte.

Womit wir beim Heute sind - und uns dem Charakter der aktuellen Ausstellung in Wuppertal nähern. Die Kuratoren Dr. Birgit Richard und Dr. Oliver Zybok haben ihr Augenmerk auf die zeitgenössische Kunst gerichtet - genauer: auf die letzten 20 Jahre - und 120 Arbeiten von 56 internationalen Künstlern für ihre Psäsentation zusammengetragen.
Gezeigt werden Gemälde und Zeichnungen, Video- und

Birgit Richard - Weißer Tod, 2009 - Foto © Frank Becker
Raum- Installationen, Skulpturen und Fotografien. Aufgenommen wurden "Positionen zur Endlichkeit des Lebens" (Birgit Richard), die Orte und Symbole des Todes aufsuchen, den allgegenwärtigen medialen Totenkult persiflieren (Beispiel Erwin Olafs "Diana", 2000), den Jugendkulturen Gothic, Punk und Black Metal Raum geben, mit dem Numinosen spielen und hautnah mit dem Tod konfrontieren wie z.B. Anne-Julie Raccoursier mit ihrer Installation "Jet Lag" (2007), die ein z.T. von einem Leichentuch überdecktes Modell einer Boeing 707 zeigt (ihre Arbeit "The Last Reflex", 2011) haben wir als Motto über diesen Artikel gestellt), die nüchternen Fotos von Lucinda Devlin, die
kühl ausgeleuchtete Todeszellen und Hinrichtungsräumen in US-Gefängnissen aufgenommen hat oder ein von Willie Doherty fotografiertes ausgebranntes Autowrack "Abandoned Vehicle II" (1994).

Mit seiner skulpturalen Installation "Anzug" (2007), einer männlichen Schaufensterpuppe im dezenten Nadelstreifenanzug, ausgerüstet mit einem Scharfschützengewehr und Unmengen von Munition hat MK Kaehne vier Jahre vor dem grauenhaften Massaker auf der norwegischen Ferieninsel Utoya wie in einer alptraumhaften Ahnung ein künstlerisches Dokument von erschreckender Aktualität geschaffen. Kaehne erreicht es durch zwei eindeutige Hinweise, den Finger am Abzug der Waffe und das Fehlen der oberen Kopfhälfte, also des Gehirns, die allen Massenmördern, welcher Motivlage auch immer, gleiche Grundsätzlichkeit unmißverständlich darzustellen. Apokalyptisch auch Markus Selgs "Der Vorhof" (2004), ein grandioses Tableau in der Tradition eines Goya.


Markus Selg - Der Vorhof, 2004 - Foto © Frank Becker

Schon zu Lebzeiten Ikone und durch ihren mystifizierten Tod beinahe zur Heiligen geworden ist Diana Spencer, Princess of Wales, "Königin der Herzen" der Yellow Press und ihrer Leser(innen). Ihr hat - ich erwähnte es oben - der Holländer Erwin Olaf mit seinem Gemälde "Di
1997" aus der Serie "Royal Blood" ein makabres Denkmal gesetzt, das nun selbst das Zeug hat, zur Ikone zu werden. Nicht ohne Grund wurde dieses Bild als Plakat- und Werbemotiv für die Wuppertaler Ausstellung ausgesucht.

Eines der eindrucksvollsten Werke der Wuppertaler Ausstellung und durch seine Teilnahme wirklich sensationell ist Gregory Crewdsons 145 x 223 cm große Fotoinszenierung "Esther Terrace" (2006). Crewdson beherrscht wie kein zweiter in der Fotografie die Gegenwart der Tristesse bis hin zur düsteren Existenzangst einzufangen. Vor ihm hat das in der Malerei Edward Hopper zur Perfektion gebracht. Gregory Crewdsons Entwürfe sind jedoch von ungleich komplexerer Anlage. Gewiß ist er seit Beginn des 21. Jahrhunderts einer der weltweit maßgeblichen Fotografen.




  Gregory Crewdson - Esther Terrace, 2007 - Foto © Von der Heydt-Museum

Nicht gezeigt werden dankenswerterweise Beispiele der entsetzlichen "Plastinate" des Kunst-Scharlatans Gunter von Hagens - Wuppertals Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh hat die nachvollziehbare Begründung zur Hand: "Das ist keine Kunst, sondern Handwerk und für die Kunstwelt unbedeutend." Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.
Ein Novum ist, daß um eine Woche zeitversetzt parallel in der Galerie der Stadt Remscheid, deren Leiter Oliver Zybok ist, unter gleichem Titel eine zweite Ausstellung überschneidend mit Werken z.T. der selben Künstler wie in Wuppertal eröffnet wird. Die dort gezeigten Arbeiten ergänzen das Thema, die Auswahl aber unterscheidet sich insofern, daß sie den Museumsbesuchern der Wuppertaler Kunsthalle den Anblick einiger der eher widerwärtigen Werke erspart, die Kurator Oliver Zybok für sein eigenes Haus ausgewählt hat. Aber das ist ja vielleicht auch nur mein einer grundsätzlichen Ethik und Ästhetik geschuldeter ganz persönlicher Geschmack.

Ich habe Ihnen hier nur einige der 70 in Wuppertal ausgestellten Arbeiten vorstellen können. Ein Besuch in der Ausstellung lohnt auf jeden Fall - sicher auch ein vergleichender/ergänzender Besuch in der Städtischen Galerie Remscheid eine Woche später.
Vernissage in Wuppertal ist am Sonntag, dem 16. Oktober 2011, 11.30 Uhr
Kunsthalle Barmen - Geschwister-Scholl-Platz 4-6 - 42275 Wuppertal



 Erwin Olaf - Di 1997 - Foto © Frank Becker

Zu den Ausstellungen ist ein von beiden Museen gemeinsam herausgegebenen hervorragender Katalog erschienen, der in aller Ausführlichkeit mit brillanten Abbildungen (alle Exponate werden im Bild gezeigt) und diversen Aufsätzen das Thema vorstellt:

DEAD_Lines - Hrsg. von Oliver Zybok und Birgit Richard
, Texte von Verena Kuni, Thomas Macho, Birgit Richard, Manfred Schneider, Oliver Zybok u.a.
© 2011 Verlag Hatje Cantz, ca. 256 Seiten, ca. 200 farbige Abb., Deutsch/Englisch
24,50 x 30,50 cm, gebunden, ISBN 978-3-7757-3005-1 - 39,80 €

Weitere Informationen: www.hatjecantz.de  -  www.von-der-heydt-kunsthalle.de